„Dienstleistung“ Sex

von Katharina Isser
Lesezeit: 5 min
Prostituierte sind oft Stigmatisierung und Gewalt ausgesetzt. Wie man als Gesellschaft oder als Staat mit Prostitution umgehen kann, um das zu ändern, wird kontrovers diskutiert. In der Mitte des Streits steht das sogenannte Nordische Modell. 
Dieser Artikel thematisiert sexuelle Gewalt.

Am Anfang steht das Wort. 

Prostitution. Sexarbeit. Frauenkauf. Sexuelle Dienstleistung. Ausbeutung. Empowerment. Entgeltliche Vergewaltigung. Freiwillige Entscheidung. 

Schon bei den Begrifflichkeiten können sich Befürworter:innen und Gegner:innen der legalen Prostitution kaum verständigen. Dabei hätten sie ein gemeinsames Ziel: die Lage von Prostituierten zu verbessern. 

Das älteste Gewerbe der Welt? 

Prostitution gilt landläufig als das älteste Gewerbe der Menschheitsgeschichte. Sexuelle Dienstleistungen werden schon seit Tausenden von Jahren angeboten. Die Einstufung als Gewerbe ist allerdings umstritten – nicht zuletzt, weil Prostitution oft kriminalisiert wurde, als „sittenwidrig“ galt und deshalb im Verborgenen stattfand. 

Generell waren Prostituierte häufig prekären Verhältnissen ausgesetzt: Sie wurden stigmatisiert und abgewertet, hatten oft kaum Rechte und waren Gewalt ausgesetzt. Wie kann man legale Prostitution rechtlich und gesellschaftlich gestalten, um die Lage von Prostituierten zu verbessern?

Illusion der Freiwilligkeit

Gegner:innen der legalen Prostitution meinen: gar nicht. Huschke Mau, Aussteigerin und Aktivistin, kämpft für deren Abschaffung. Nach schweren körperlichen und sexuellen Missbrauchserfahrungen durch ihren Stiefvater, psychischen Problemen und starken finanziellen Schwierigkeiten inklusive Wohnungslosigkeit habe sie damals keine andere Option gesehen, als sich zu prostituieren. 

Es sei ein häufiges Schicksal unter Prostituierten. Finanzielle oder emotionale Not würden „Freiwilligkeit“ zu einer Illusion machen. Freier – also die Männer, die die „Dienste“ der Prostituierten in Anspruch nehmen – beschreibt Huschke Mau als oftmals übergriffig, bewusst grenzüberschreitend, gewalttätig, gar sadistisch. Habe sie sichtlich keine Lust, Schmerzen oder Angst gehabt, hätte das manche sogar besonders erregt. Noch immer habe sie Panikattacken von den Erinnerungen.

Neun von zehn wollen aussteigen

Tatsächlich fand eine Neun-Länder-Studie von Melissa Farley et al. bei fast 70 Prozent der befragten Prostituierten Symptome einer post-traumatischen Belastungsstörung. Neun von zehn äußerten den Wunsch, auszusteigen, hatten jedoch keine andere Alternative, zu überleben. 

Die Frage nach dem Vorhandensein von Alternativen sei laut den Autorinnen viel wichtiger als die Frage nach Freiwilligkeit. Wahrer Konsens sei in dem Kontext der Prostitution, mit dem Machtungleichgewicht zwischen Anbieterin und Käufer, nicht möglich. Die Studie zitiert eine Frau: “What rape is to others, is normal to us.” 

 

Bild: Katharina Isser / Ein Wandgemälde im Sebastian-Kneipp-Weg in Innsbruck macht auf die Lage von Sexarbeiterinnen in Tirol aufmerksam. Ein vandalistischer, diffamierender Schriftzug zeigt das Ausmaß der Stigmatisierung.

Prostitution zwischen Arbeit und Zwang

Auch Huschke Mau ist der Meinung: Eine finanzielle Gegenleistung könne keine wahre Zustimmung ersetzen – vor allem nicht, wenn der Kühlschrank leer ist, die Stromrechnung bezahlt werden muss. Deswegen stellt sie sich dem Begriff „Sexarbeit“ entschieden entgegen. „Gekaufter“ Sex ließe sich nicht von Vergewaltigung unterscheiden. Prostitution sei immer Gewalt. Und Sex eben nicht normale Arbeit. Sonst wäre „eine Vergewaltigung keine Gewalttat mehr, sondern Zwangsarbeit“ und sexuelle Belästigung lediglich „ein Jobangebot“, schreibt Huschke Mau auf ihrem Instagram-Account. 

Befürworter:innen der Legalisierung wollen freiwillige Sexarbeit und Zwangsprostitution hingegen streng getrennt sehen. Entgeltlichen sexuellen Kontakt immer als gewaltvoll zu beschreiben, stelle selbstbestimmte Sexarbeiter:innen als Opfer ohne Handlungsspielraum hin und wirke automatisch stigmatisierend. Ein Verbot verstoße gegen die Menschenrechte der Privatsphäre und der Selbstbestimmung. Prostitution sei als legitime Arbeit anzuerkennen und dementsprechend gesetzlich zu regeln – legal. Die Legalisierung soll Stigmatisierung bekämpfen und die Situation von Sexarbeiter:innen verbessern. 

Dem setzen Kritiker:innen entgegen: In Ländern mit legalisierter Prostitution ist das Level an Zwangsprostitution und Menschenhandel („Sex Trafficking“) nachweislich höher. Das zeigt eine Studie aus dem Jahr 2013. Einen sicheren kausalen Zusammenhang kann man daraus aber noch nicht ableiten. 

Sexkaufverbot: das Nordische Modell

Als Alternative zur legalen Prostitution setzt sich Huschke Mau für das sogenannte Nordische Modell ein. Das erstmals in Schweden und später auch in Norwegen und Island eingeführte Sexkaufverbot kriminalisiert die Freier und Zuhälter, nicht aber die Prostituierten. Sex zu kaufen ist also illegal, Sex gegen Geld anzubieten hingegen nicht. So sollen Betroffene geschützt werden.

Kritiker:innen des Nordischen Modells – einige davon selbst Prostituierte – fürchten hingegen negative Folgen. Nur mehr wenige, besonders risikobereite Freier würden übrig bleiben – vis-à-vis einer, zumindest anfänglich, gleichbleibenden Anzahl an Prostituierten. Durch die sinkende Nachfrage sinkt auch der Preis, der für eine sexuelle Leistung verlangt werden kann, und mitunter müssen die Prostituierten riskanten Praktiken zustimmen, um ihre Klienten zu behalten. 

Human Rights Watch kritisiert, dass es unter dem Nordischen Modell für Prostituierte schwerer sei, sich zusammenzuschließen, eine sichere Örtlichkeit für das Anbieten ihrer Dienste zu finden oder ein entsprechendes Geschäftskonto zu eröffnen. Prostituierte seien deswegen schlechter vor (tödlicher) Gewalt geschützt, argumentieren Gegner:innen des Konzepts. In Irland wurden auf UglyMugs.ie, einer Website zur Unterstützung von Sexarbeiter:innen, nach der Einführung 92 Prozent mehr Gewaltdelikte gemeldet.

In Schweden, schreibt das Nordic Model Information Network hingegen, habe es keinen solchen Anstieg gegeben. Seit der Einführung wurde keine Prostituierte mehr von einem Freier ermordet. Generell habe das Gesetz seine Ziele erfüllt und beispielsweise Prostitution auf dem Straßenstrich erheblich reduziert. 

Hochkomplexe, sensible Thematik

Allgemein sind Statistiken zum Einfluss verschiedener (Ent-)Kriminalisierungsmodelle auf Gewalt und Menschenhandel mit Vorsicht zu betrachten. Es sind hochkomplexe Vorgänge, und verschiedene länderspezifische Faktoren, abweichende Definitionen und Methoden der Datenerhebung machen Vergleiche und das Ziehen kausaler Zusammenhänge schwierig.

Klar ist, dass Prostituierte oft mit schlimmen Zuständen konfrontiert sind: psychisch, finanziell, gesellschaftlich, im Kontakt mit Klienten und mit Staatsorganen. Das zu lösen, wird angesichts gemischter Datenlagen und Grabenkämpfen zwischen Gegner:innen und Unterstützer:innen der Legalisierung nicht einfach werden. 

In Österreich ist das Anbieten sexueller Dienstleistungen prinzipiell legal, solange die Beteiligten erwachsene Menschen sind. Es gelten aber besondere Bestimmungen, wie die Verpflichtung zu regelmäßigen gesundheitlichen Untersuchungen im Abstand von sechs Wochen. Prostituierte gelten im Normalfall als selbstständig erwerbstätig.

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