Die Erde brennt: Ein Löschversuch

von Friederike Westrich
Lesezeit: 7 min
Der Unihörsaal 3 an der GEIWI ist seit 16. November von Aktivist:innen besetzt. Sie fragen sich, warum sie für ein System lernen sollten, das keine Zukunft hat.

International unter dem Namen End Fossil, Occupy! und im deutschsprachigen Raum unter Erde Brennt: Weltweit werden diesen Herbst/Winter Universitäten von der Klimagerechtigkeitsbewegung besetzt mit dem Leitsatz „Wir werden nicht aufgeben, bis die fossile Ära zu Ende ist!“. In Österreich findet sich die Bewegung in Wien, Salzburg und Innsbruck. Prinzipiell soll drei großen Prinzipien gefolgt werden: Jugendgeführt, Klimagerechtigkeit, Besetzen bis zum Erfolg.

Die Anfänge

Ende Oktober gibt es eine erste große Regung in Innsbruck: eine Infoveranstaltung in der Kulturbackstube Bäckerei. Neugierig drängen sich 33 Menschen in den Raum und lauschen den Ausführungen über die Entstehung, die Leitlinien und die Konzepte. In der Mitte stehen Getränke und Kuchen und jede:r Anwesende darf sich kurz vorstellen. Sowohl alte Hasen aus der Klimabewegung als auch interessierte Neulinge haben sich zusammengefunden. Nun also, worum geht’s? Unis sollen besetzt werden; von der Jugend, die als revolutionäres Subjekt gesehen wird; im November, genauer weiß es aber noch niemand; mit dem Ziel, Menschen aus verschiedensten Lebensrealitäten zu erreichen. Ein Raum soll geschaffen werden, in dem sich auf die Fragen „Wie sieht eine Welt aus, die wir wollen?” und „Wie könnte es anders gehen?“ Antworten finden sollen. Ziel ist es, einen aktiven Raum gegen Hoffnungslosigkeit, gegen Ausbeutung und Profit und für den Zusammenschluss verschiedener Gruppen entstehen zu lassen.

„Menschen mitnehmen, Medienrummel veranstalten“

Aber was genau kann man sich unter einer Besetzung vorstellen? Genaue Antworten gibt es noch keine, man darf also fröhlich selbst mitformen. Es soll eine niederschwellige Besetzung sein, mit Sicherheitskonzepten und bunten Räumen. Zum Ende hin werden Plakate und Listen auf die Tische gelegt, auf denen man Ideen sammeln und seine Nummer hinterlassen darf. Es scheint alles noch in den Kinderschuhen zu stecken. Welche Forderungen konkret an die Universität und die Politik gestellt werden? Das soll dann in den besetzten Räumen ausgearbeitet werden.

An einem Sonntagnachmittag Anfang November, zehn Tage vor Besetzungsbeginn, finden wir uns im Hofgarten wieder. Verabredet sind wir mit Anna und Matthias, die uns mehr über Erde Brennt in Innsbruck erzählen können. Im Park ist es kalt, aber sonnig, und als unsere Gesprächspartner:innen eintreffen, setzen wir uns auf die Wiese. Anna und Matthias heißen in Wahrheit anders. Doch Innsbruck selbst und insbesondere die klimaaktivistische Szene ist überschaubar. Sich mit echtem Namen in einer Zeitung zu äußern, ließe wahrhaftig wenig Raum für Verwechslungen.

Dies wirft zunächst natürlich die Frage auf, ob die Besetzung eines Hörsaales denn illegal ist. Auf Nachfragen erfahren wir, dass es im Fall einer Räumung durch die Polizei zu Verwaltungsstrafen kommen könnte. Da sich Erde Brennt jedoch klar von Gewalt und Sachbeschädigung distanziere und dazu geneigt sei, mit der Direktion der Universität zusammenzuarbeiten, werde diesem Fall vorgebeugt. Wichtig ist außerdem, dass Besucher:innen des besetzten Hörsaales nicht mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben.

Stören, um etwas zu verändern!

Trotz der geplanten Zusammenarbeit mit der Universitätsleitungen betonen Anna und Matthias, dass das universitäre und damit das öffentliche Leben gestört werden müsse. Es gehe nun einmal darum, auf sich aufmerksam zu machen. Aus dieser Notwendigkeit heraus sei es gerechtfertigt, den Universitätsalltag zu behindern. Es müsse endlich aktiv daran gearbeitet werden, weitreichenden Wandel herbeizuführen. Klimagerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, Reformen in der Bildung: die Liste sei lang.

Wir wollen die Uni besetzen, um einen Raum zu schaffen, in dem wir zusammenkommen und die multiplen Krisen unserer Zeit besprechen können; in dem wir uns über die Anliegen der Menschen austauschen können.

Schnell wird klar: Es geht Erde Brennt darum, einen Raum zu schaffen. In diesem Raum soll Austausch stattfinden; es sollen Forderungen gemeinsam ausgearbeitet werden, Diskussionen sollen stattfinden und ein abwechslungsreiches Programm soll nicht nur Studierende zur Mitarbeit einladen, sondern auch Menschen, die in ihrem Alltag keine oder kaum Berührungspunkte mit der Universität haben. Jedem und Jeder, der sich informieren möchte oder gewillt ist, aktiv mitzuarbeiten, soll dieser Raum geöffnet werden. Denn der Bewegung ist es wichtig, dass viele verschiedene Perspektiven zu relevanten Themen aufeinandertreffen. Nur so könne gemeinschaftlich ausgearbeitet werden, was genau sich ändern müsse. Daher sei das Erarbeiten von Forderungen der Bewegung ein Prozess, der im Laufe der Hörsaal-Besetzung stattfinden solle.

Die Rolle der Universität

Diese Bewegung im universitären Kontext durchzuführen, habe den Grund, dass Universitäten eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Bevölkerung darstellen. Laut Anna und Matthias sollten diese Räume vermehrt genutzt werden, um Menschen gemäß den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen auszubilden.

Als Gegner der Bewegung möchte man nun kommentieren, dass mit der Besetzung der Universität das Gegenteil erreicht werde, schließlich beeinträchtige man das universitäre Leben. Anna und Matthias meinen, dass dies nur ein Teil der Wahrheit sei. So seien in den meisten Lehrveranstaltungen der Studiengänge an der Universität Innsbruck zukunftsweisende Themen klar unterrepräsentiert. Dabei wäre es die Aufgabe der Universität, die aktuellen Krisen in das Zentrum unseres kollektiven Bewusstseins zu rücken. Erde brennt sieht sich in der Verantwortung, Aufmerksam zu erzeugen und auf diese Art einen Wandel in der universitären Bildung zu erwirken.

Warum wir hier sind?

… steht mittig auf einem Plakat im Hörsaal H3 geschrieben. Drum herum in bunter Schrift stehen Begriffe wie Veränderung, Freiräume, Druck. Der Hörsaal an der Geiwi des Hauptgebäudes der Uni ist nun seit dem 16. November besetzt. Um 17 Uhr haben sich nach der Vorlesung „Ethik 1“ ungefähr vierzig Teilnehmer:innen der Besetzung dort versammelt. Die Umstehenden wurden zum Bleiben aufgefordert, danach fand eine Rede zu Klimagerechtigkeit, zum Selbstverständnis und dem Programm von Erde Brennt statt. Danach war es Zeit zum Einrichten – schließlich ist es geplant, für einen längeren Zeitraum den Hörsaal zu besetzen.

Bild: Friederike Westrich

Jetzt finden sich bunte Plakate und Banner am Eingang und im Hörsaal. „Eine andere Welt ist möglich“, „Dieser Hörsaal ist besetzt“, „Realpolitische Forderungen“, ein Zeitplan und To-Dos laden zum Umschauen und Lesen ein. Im Eingangsbereich fordern Plakate auf, einzutreten und zu diskutieren, zu schlafen und zu chillen. Infomaterial zu verschiedenen Themen und Organisationen im Bezug zu Klimakrise, Sexismus, Rassismus und vielem Weiteren liegen bereit. Beim Eintreten lädt ein rotes Sofa zum Sitzen ein. Wie lange der Hörsaal besetzt bleiben soll? So lange, wie Menschen und Energie da sind. Bisher scheint beides genügend vorhanden zu sein, denn der Zeitplan ist voll und stets befinden sich Menschen im Hörsaal. Seit 13 Tagen finden sogenannte kritische Frühstücke, verschiedene thematisch passende Vorlesungen, Podiumsdiskussionen und regelmäßige Plena statt. Verschiedene Arbeitsgruppen organisieren, planen und machen Öffentlichkeitsarbeit.

Sprech- und Hörsaal 3

… wird als Umbenennung im Plenum am dritten Besetzungstag vorgeschlagen. Neben der Frage, ob der Raum für Obdachlose geöffnet werden soll und wie die Forderungen an der Uni konkretisiert werden sollen, wird auch diskutiert, wie sich auch Menschen aus anderen Bubbles eingeladen fühlen können. Rassismus- und sexismusfreie Kommunikation gehört zum Aktionskonsens, jedoch soll ein Raum geschaffen werden, in dem man keine Angst haben muss, Fehler zu machen. Beim Moderieren und Protokollschreiben wird sich abgewechselt und über Handzeichen wird in der großen Gruppe kommuniziert – Zustimmung, Bedenken, Fragen, Redebeiträge. Im Hintergrund wird gekocht, denn abends wird zum gemeinsamen Essen eingeladen. Foodsharing und Spenden liefern dafür die Grundlage. Und nachts? Es werden Isomatten und Schlafsäcke ausgerollt und das Licht ausgeknipst.

Bild: Friederike Westrich

„Wir freuen uns auf einen Prozess des kritischen Dialogs und Austausches“

Das steht am Ende des Forderungspapiers an den Rektor und die Vizerektor:innen, welches letzten Freitag abgesendet wurde. Unter anderem wird folgendes gefordert: Krisenauseinandersetzung in allen Curricula, Einrichtung eines Vizerektorats für Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit, Abbau diskriminierender Strukturen, Teilhabe für alle, das Schaffen selbstorganisierter Räume und eine strukturelle Demokratisierung. Zum Schluss steht noch ein Glossar, in dem zum Beispiel kritisches Hinterfragen und Klimagerechtigkeit erklärt wird. Schließlich muss ja bei den Grundlagen angefangen werden. Eine Kritik, die exponiert und machtvollen Interessen entgegensteht, sei „von einer Universität zu erwarten, die ernsthaft um eine Beschreibung dieser Welt ringt.“

Dieser Artikel erschien auch in der Jänner-Ausgabe 2023.

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