Women, Life, Freedom: Solidarität mit dem Iran, Kritik an der ÖH

von Katharina Isser
Lesezeit: 5 min
Mit einer Fotoaktion am Campus Innrain zeigen eine iranisch-US-amerikanische Aktivistin und Vetreter:innen des VSStÖ Solidarität mit den Protesten im Iran und kritisieren die ÖH Innsbruck für ihr „Schweigen“.

Die langen, schwarzen Haare der jungen Frau wehen im Herbstwind. Sie heißt Roxanne Ardekani, ist US-Amerikanerin mit iranischen Wurzeln und hat gemeinsam mit dem VSStÖ eine Fotoaktion zur Solidaritätsbekundung mit den Protesten im Iran organisiert. Dort lehnen sich seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini große Teile der Bevölkerung gegen das repressive islamische Regime auf. Mahsa Amini starb, nachdem Sicherheitskräfe die junge Frau wegen falschen Tragens des Hijabs festgenommen und in Gewahrsam mutmaßlich misshandelt hatten.

Foto: VSStÖ Innsbruck

Die Organisatorin Roxanne Ardekani hält ihr Schild in die Kamera.

I am a voice for Iran

Ardekani und Vertreter:innen vom VSStÖ machen vom GeiWi-Vorplatz aus die Runde über den Campus Innrain. Sie gehen auf Menschen zu, verteilen Protestschilder und machen Fotos. Nicht alle Angesprochenen sind bereit, sich fotografieren zu lassen, doch einige Kamerascheue lassen sich von der Option, ihr Gesicht zu verdecken, aus der Reserve locken. Und viele stehen auch ganz offen zu ihrer Meinung, zeigen, ohne zu zögern, ihr Gesicht.

In Österreich ist es nicht gefährlich, gegen das iranische Regime offen Position zu beziehen. Im Iran werden Menschen dafür ermordet.

„Dieses Thema betrifft nicht nur den Iran, es betrifft Frauen und es betrifft die ganze Welt. Deswegen bin ich tatsächlich überrascht, dass die Universität so zögert, eine Stimme zu sein für die Frauen, die sterben und leiden und laut genug schreien, dass Menschen sie hören können“, meint Roxanne Ardekani.

„Die ÖH weigert sich zu sprechen“

„Es ist okay, wenn man leise solidarisch ist, aber es ist nicht okay, wenn man sich aktiv weigert zu sprechen“, fügt Ardekani hinzu. „Was braucht es, um die Universität zum Sprechen zu bringen? Wieso verstehen sie nicht, wie wichtig es ist, eine Stimme für die jüngere Generation und für den Iran selbst zu sein?“

Auch die ÖH wird von der Organisatorin kritisiert: „Ich meine auch die ÖH, denn der VSStÖ hat versucht, die ÖH zum aktiven Sprechen und zur Veröffentlichung eines Statements zu bringen, und sie hat sich aktiv geweigert“.

Ardekani bezieht sich auf den Antrag „Solidarität mit den Studierendenprotesten im Iran“, den VSStÖ und GRAS gemeinsam in der ersten ordentlichen UV-Sitzung des Wintersemesters eingebracht hatten. Darin wurde eine öffentliche Solidaritätsbekundung der ÖH mit den Protestierenden im Iran sowie eine Thematisierung in den öffentlichen ÖH-Aussendungen gefordert.

Der Antrag wurde von der Universitätsvertretung zu Gunsten eines vom stellvertretenden ÖH-Vorsitzenden Lukas Schobesberger (JUNOS) eingebrachten Gegenantrags abgelehnt. Letzterer beinhaltet keine Öffentlichkeitsarbeit mehr, stattdessen wird ein Gespräch mit dem Vizerektorat für Lehre und Studierende zur Unterstützung iranischer Studierender vorgesehen. Das sei zu wenig, finden Ardekani und Vetreter:innen vom VSStÖ.

Daniel Müller und Lukas Schobesberger aus dem Vorsitzteam der ÖH Innsbruck entgegnen: „Wir haben in der UV-Sitzung dazu einen Gegenantrag eingebracht, weil das Thema zwar nicht in unseren Kompetenzbereich als Interessenvertretung der Studierenden an der Universität Innsbruck fällt, wir aber dieses tragische Thema nicht unter den Teppich kehren, sondern proaktiv tätig werden wollten. Wie dem Antragstext zu entnehmen ist, kritisiert die ÖH Innsbruck die entsprechenden Geschehnisse aufs Schärfste und feilt an Hilfsmöglichkeiten, die ihr in dieser Causa zukommen.“ Man habe sich bereits mit dem Vizerektorat in Verbindung gesetzt und arbeite mit einer iranischen Studentin zusammen. Außerdem kritisieren Müller und Schobesberger, von den jeweiligen Veranstalter:innen weder kontaktiert noch eingeladen worden zu sein.

Foto: VSStÖ Innsbruck

Women, Life, Freedom

24 Leute lassen sich insgesamt im Rahmen der Fotoaktion mit Schild ablichten. Nur wenige greifen zu einem Schild mit ÖH-Bezug; die meisten positionieren sich zu den Geschehnissen im Iran, aber nicht zur Hochschulpolitik.  Die drastische Lage im Iran scheint den Menschen erstens mehr zu sagen und zweitens näher zu gehen als die Diskussion um die Rolle, die die ÖH spielen sollte. Nach etwa einer Stunde und einer Runde um den Campus ist die Aktion vorbei. Der VSStÖ wird die Fotos nun gemeinsam mit einer Pressemitteilung aussenden und plant, sie auf Social Media zu posten.

Ardekani wirkt zufrieden mit dem Tagwerk. Als ich sie am Ende unseres kurzen Interviews frage, ob sie abschließend noch etwas hinzufügen möchte, lächelt sie. „Women, Life, Freedom!“

Der Spruch entstammt ursprünglich der kurdischen Unabhängigkeitsbewegung gegen Ende des letzten Jahrhunderts. Auch Mahsa Amini war kurdischer Abstammung, ihr kurdischer Vorname war Jina. Iranische Protestierende übernahmen „Women, Life, Freedom“ bzw. „Woman, Life, Freedom“ als Kampfspruch: Er wurde erstmals bei Mahsa Aminis Beerdigung und bald danach von Studierenden der Universität Teheran gerufen. Mittlerweile wird durch den Slogan weltweit Solidarität mit den Protesten im Iran bekundet.

Was augenscheinlich als Protest gegen die strengen Kleidungsvorschriften begann, hat revolutionäres Potential entwickelt. Das Ziel vieler Iraner:innen ist ein gänzlicher Regimewechsel. Bereits 2017 und 2019 gab es nationale Proteste gegen das Regime, doch nie waren diese so schichtübergreifend wie jetzt. Der Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad spricht in einem Gastbeitrag auf ZEIT Online von einem Paradigmenwechsel in den Köpfen der Iraner:innen. Die Revolution sei von einem Tabu zu einer Lösung geworden.

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