Von Bergen und Brücken

von Anna Kirchgatterer
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Wir befinden uns im Jahr 11hundertirgendwas. Am Inn steht eine kleine Ansammlung an Häusern, die meisten aus Holz. Es sind so wenige, dass man sie mühelos zählen könnte.

Zwischen den Gebäuden gackern ein paar Hühner und die ersten Händler beginnen schon, ihre Waren anzupreisen. Wo später die Maria-Theresien-Straße verläuft, zieht sich ein Feldweg, über den ein Bauer gerade seinen Karren zieht. Es ist Markttag. Die beschauliche Ansammlung von Häusern – und doch die größte in der Umgebung – ist ein willkommener Zwischenstopp für die von Nord nach Süd und zurück ziehenden Händler. Das Prunkstück und ganzer Stolz der werdenden Stadt ist die neu errichtete Brücke über den Inn.

Brücken schlagen

Heute gibt es fast keine Zeugnisse mehr von dieser ersten Brücke, durch die Innsbruck zu dem wurde was es heute ist. Für eine Bevölkerung, die auf Fähren oder breite, seichte Stellen im Flusslauf angewiesen war, war eine Brücke eine große Errungenschaft. Für die Menschen, die nicht weit herumkamen, war dieses Bauwerk von ähnlicher Bedeutung wie das Kolosseum in Rom oder die ersten Wolkenkratzer. Eine zum Dorf gehörende Brücke war etwas Besonderes, bedeutete weiterwachsenden Wohlstand. Erst im 16. Jahrhundert baute man eine zweite.

Im 21. Jahrhundert finden sich am Stadtgebiet schließlich 15 Brücken. Es spannen sich Balken-, Bogen- oder Schrägseilbrücken über den Inn, sie gehören zum Stadtbild wie die altehrwürdigen Gebäude der Altstadt, die vielen Kirchen, die Klinik und die hässlichen Türme der Geiwi. Tatsächlich aber würde man von der Hungerburg hinunter auf die Stadt blickend eher auf die architektonisch missglückten Hallen der Wissenschaft mit Betonhof als auf die Universitätsbrücke davor aufmerksam machen. „Schau, hier sitze ich seit drei Jahren und studiere.“

Apropos Studieren: Als die Uni Innsbruck ihr neues Motto für die 350 Jahre-Feier auswählen musste, hatte sie die Qual der Wahl. Bezieht sie sich auf die einzigartig machenden Berge oder die symbolisch so schön aufladbaren Brücken? Man entschied sich für letzteres, für die Aufforderung, gemeinsam Brücken in die Zukunft zu bauen. Man hätte auch miteinander einen Berg erklimmen können. Aber da wäre der Gipfel dann irgendwann erreicht. Die Berge sind eine Begebenheit, an die man sich anpassen muss. Brücken bieten die Möglichkeit, die Umwelt zu gestalten.

Und dies wird in Innsbruck gemacht. Das Leben in Innsbruck spielt sich ab zwischen Altstadt und Höttinger Gasse, zwischen Sowi, Hofgarten und St. Nikolaus, der Hauptuni und Hötting. Studierende düsen mit dem Rad zu Konzerten, Verabredungen und Sportevents. Die Brücken sind das verbindende Glied, Adern die kaum jemals auffallen – außer man steht bei Hochwasser vor der gesperrten Fußgängerbrücke. Brücken haben nämlich eine entscheidende Eigenschaft: Sie fallen meist nur auf, wenn sie nicht da sind.

Albrecht Dürer hat nicht nur den berühmten Hasen gemalt, sondern auch eine Ansicht von Innsbruck (1495). Die Lage am Inn spielt eine wichtige Rolle, die Stadt sieht fast ein bisschen aus wie Venedig. Die Umrisslinien der historischen Stadtansicht wurden in den Pavillon in St. Nikolaus (Waltherpark) eingepasst. Dort soll der Maler gestanden haben, als er die Stadt auf seiner Leinwand festhielt.

Brücken überbrücken

Die Stadt Innsbruck nützt die Bauwerke selbst als Mittel des Marketings und nennt die Brücke ein „Symbol für die Überwindung von Gräben und trennenden Grenzen“. Dass die Partnerstädte New Orleans und Grenoble Namensgeber für zwei sind, verwundert nicht. Was gibt es besseres, als seine guten Absichten mit der Benennung einer Brücke zu bekunden, sie auf ein verbindendes Bauwerk zu projizieren?

Jener oben erwähnte Steg, der bei Hochwasser gerne gesperrt wird, ist übrigens nach einem französischen General benannt. Marie Émile Antoine Béthouart war während der Besatzung in Tirol, er sicherte sich die Beliebtheit bei den Tirolern indem er 1950 einen Kranz am Andreas-Hofer-Denkmal am Bergisel niederlegte. Wen wundert es da, dass der Gemeinderat fünfzig Jahre später einstimmig beschließt, den Steg nach ihm zu benennen? Eine Brücke für einen Diplomaten, der wusste, wie er die Tiroler für sich einnimmt. Etwas weiter flussabwärts ist ein Steg nach einem gewissen Hans Psenner benannt. Er war der „Vater des Alpenzoos“, passenderweise passiert man den nach ihm benannten Steg, wenn man sich zu Fuß auf den Weg zum höchstgelegenen Zoo Europas macht.

Brücken schlagen, eine goldene Brücke bauen – ein solches Bauwerk kann für verschiedenste Metaphern verwendet werden. Nicht umsonst wird sie in Philosophie und Literatur gerne verwendet. Franz Kafka ging wie gewohnt einen eher unüblichen Weg, macht in seinem Gleichnis „Die Brücke“ das Bauwerk zu einem Mischwesen zwischen ebenjenem und Mensch. Es wartet darauf, endlich den ihm zugeschriebenen Sinn zu erfüllen. In keiner Karte ist die aus menschlichen Bestandteilen bestehende Brücke eingezeichnet, kein Tourist oder Wanderer hat sich je zu ihr verirrt.

„Dann aber – gerade träumte ich ihm nach über Berg und Tal – sprang er mit beiden Füßen mir mitten auf den Leib. Ich erschauerte in wildem Schmerz, gänzlich unwissend. Wer war es? Ein Kind? Ein Traum? Ein Wegelagerer? Ein Selbstmörder? Ein Versucher? Ein Vernichter? Und ich drehte mich um, ihn zu sehen. – Brücke dreht sich um! Ich war noch nicht umgedreht, da stürzte ich schon, ich stürzte, und schon war ich zerrissen und aufgespießt von den zugespitzten Kieseln, die mich immer so friedlich aus dem rasenden Wasser angestarrt hatten.“

Brücke zur Realität

Innsbrucks Brücken sind dann aber doch nicht ganz so einsam wie jene von Kafka beschriebene. Täglich sind tausende Menschen unterwegs, spazieren, flanieren, eilen, laufen, marschieren, schlendern, rollen oder wandern über die Wege der Stadt. Ein Bauwerk wie eine Brücke könnte da schon einiges erzählen. So zeugen zum Beispiel die Schlösser an der Innbrücke und am Emile-Béthouart-Steg von den zahlreichen Liebesbekundungen, die auf und um den Inn gegeben wurden. Über die Karwendelbrücke wurde regelmäßig von den Feiern im Hafen heimgewankt, der Blödsinn, der da oft geredet wird, würde wohl kein nüchternes Ohr erfreuen. Und wie man hört, wurden bei Mondschein – oder auch bei Tageslicht – schon so manche Hüllen fallengelassen. Die Resultate erfreuten einzelne Lover oder auch ganze Fachschaften, wie das Titelbild der Februarausgabe 2015, auf dem unser damaliger Chefredakteur Tim Jekat als Schwimmer posierte.

Die Lesart Kafkas der scheiternden zwischenmenschlichen Beziehungen betrifft uns auch heute immer wieder – nicht nur in Zeiten von Corona. Es wurden Brücken gebaut und abgerissen, neue Bauweisen erprobt und ältere Stege gepflegt. Auch in unserer Stadt mussten Brücken neu aufgebaut werden. So wurde jene Behelfsbrücke, die vor der Grenobler Brücke ihren Platz einnahm, vom Schutt der alten Mühlauer Brücke weggeschwemmt.

Von der kleinen Häuseransammlung des hochmittelalterlichen Markt Innsbruck ist nicht mehr viel da. Die Stadt hat sich mit der Zeit verändert, vergrößert. Eine Brücke ist nicht mehr Alleinstellungsmerkmal in der Region. Im Wappen und vor allem auch im Namen ist diese Erinnerung aber geblieben. Egal, was in der Studienzeit in Innsbruck so geschehen mag und wohin es einen verschlägt. Die Brücken hinter uns werden wir nicht abbrechen.

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