Konsum ist König:in

von Kristina Kerber
Lesezeit: 6 min
Mit bewussten Konsumentscheidungen die Welt retten: Das Märchen der Eigenverantwortung, erzählt von den Verantwortlichen.

Auch kleine Steine ziehen große Kreise und wir alle sind Hauptcharaktere, die Wellen schlagen. Ein unschlagbares Argument, das uns in die Wiege gelegt wurde. Hauptcharaktersyndrom. Aber ist das denn wahr oder sind wir nur Protagonist:innen einer schlechten Gutenachtgeschichte? Wie schwer sind die Steine in unseren Händen, wenn wir mit ihnen auf Goliat zielen? Das Problem: Klimakrise, Klimawandel, antiklimaktischer klimabedingter Weltuntergang. Die Lösung: Wir. Wir müssen uns ändern. Bewusster Konsum. Nachhaltiger Lifestyle. Kauf dich gesund und glücklich. Ich kauf mir eine Glasflasche, steig für meine zwei Urlaube pro Jahr in den Zug statt ins Flugzeug und, zack, ist die Welt gerettet. Wie schön es doch ist, die Macht über die Welt mit den eigenen Fingern zu umschlingen. Was dabei ignoriert wird? Wir halten dann zwar die Macht, aber die Verantwortlichen halten uns. Klimakritik schiebt uns nicht nur die Macht der Veränderung in die Hände, sondern auch die Verantwortung in die Schuhe. Während wir mit dieser Schuld auf leisen Kunstledersohlen um die veganen Bio-Optionen in den Verkaufsregalen schleichen, in ÖVB-Ticketschalterschlangen an unseren Ökoflaschen nippen und uns um unseren CO2-Fußabdruck sorgen, sitzt ein Milliardär mit importiertem Steak zwischen den vergoldeten Zähnen im Privatjet und schaut von oben herab zu.

Hauptcharaktersyndrom einer Weltrettergeneration

Wir haben die Macht, wir sind die Hauptcharaktere, wir retten die Welt. Eigenverantwortung ist uns auf die Stirn tätowiert. Mit heimisch-hergestellten, biologisch abbaubaren Farben, versteht sich. Natürlich ist es ratsam, gar die einzig verantwortbare Option, bei Möglichkeit zu umweltfreundlichen Alternativen zu greifen und den eigenen Beitrag zu leisten, der Klimakrise entgegenzusteuern und nicht zusätzlich Erdöl ins Feuer zu gießen. Jedoch ist es auch an uns, die Märchenfigur der Einzelmacht inmitten eines kapitalistischen Systems als bösen Wolf zu enttarnen, der sich der Verantwortung entziehen will und bestenfalls sogar Geld mit der Verzweiflung der fleißigen Schäfchen macht. Produktionszahlen werden nicht nach Bedürfnis, sondern nach Profit errechnet. Statt Wohnungen werden Büros gebaut, statt bezahlbaren Wohnflächen sind es Luxusvillen, die aus dem Boden gezaubert werden. Angebot und Nachfrage – das alte Spiel. Aber wie sehr können Konsumierende wirklich den Markt kontrollieren? Produkte schaffen oft Bedürfnisse, sowohl durch den gepflanzten Gedanken, wir könnten uns auch durch Konsum ein gutes Gewissen erkaufen, wie auch durch steigende Preise moralisch vertretbarer Produkte. Im Endeffekt sind es jedoch wir, die auf dem Wohnungsmarkt kämpfen, während die Quadratmeterpreise steigen, da sich’s die Reichen ja leisten können, und die Bürokomplexe und Villen leer stehend dahinrotten wie der importierte Bio-Käse im stromfressenden Kühlschrank. Gewinnerwartung und Profit siegen, wir Konsumierenden spielen nur.

Konsum als Klassenkampf

Von der Gleichwertigkeit der Menschen wird gern gesprochen. Zumindest, wenn’s gelegen kommt. Plötzlich sind wir alle gleich und müssen gleichermaßen am selben Strang ziehen. Dass der Strang für einige einer Existenzgrenze und für andere einer vergoldeten Zahnseide gleicht, scheint der Konsumkritik dabei egal zu sein. Die Klimakrise mag zwar menschengemacht sein und wir mögen zwar alle dazu veranlasst sein, unseren bestmöglichen Beitrag zu leisten, dennoch ist es Fakt, dass der Beitrag exponentiell mit dem eigenen Wohlstand steigt. So ist es also nicht primär ein Otto Normalverbraucher mit seinem morgendlichen Avocado-Toast, der dafür sorgt, dass im Nachbarort tägliche Gewitter zu Boden dreschen und Hitzewellen für Grillverbote sorgen, sondern eher ein Jeff Spezialverbraucher, der sich heute schon zum fünften Mal eine Avocado gönnt, während seine fünfzig Firmen ordentlich Dampf ablassen. Einer aktuellen Oxfam-Studie zufolge sind die reichsten 10 Prozent für 52 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Hochgerechnet sind das pro Kopf 175-mal mehr als die einer Person der ärmsten 10 Prozent. Wir alle sind betroffen von der Klimakrise – der Strang, an dem gezogen wird, ist also derselbe – jedoch hängen manche schon in der Schwebe, während die Stärksten kaum den kleinen Finger schmutzig machen wollen, obwohl sie es waren, die den Abgrund (mit-)erschaffen haben.

Auch das Spielfeld macht beim Seilziehen gegen die Klimakrise einen Unterschied.

Ziehen zwar alle gemeinsam gegen die Klimakrise an, stehen ärmere Menschen weiter vorne und haben dadurch einen wesentlich höheren Kraftaufwand. Es mögen alle auf derselben Seite sein, und doch stehen viele am (Existenz-)Abgrund, während viele, die mehr Kapital haben, gemütlich am hinteren Ende stehen und mit leichtem Griff den Wetterumschwung beobachten.

Ein konkreteres Beispiel: Neben der teuren Fair-Trade Bioschokolade liegt die durch Kinderarbeit hergestellte Billigschokolade im Regal. Jedoch haben kaufende Hände nicht automatisch die gleichen Ressourcen zur Verfügung, um gleichermaßen am Seil zu ziehen und die umweltbewusste Entscheidung zu treffen. Dazu kommt: Wenn sie niemand kaufen würde, würde sie nicht mehr hergestellt werden. Aber wenn sie nicht hergestellt werden würde, würde sie auch niemand kaufen. Wo liegt hier die Verantwortung? Bei einem alleinerziehenden Elternteil, das Schokolade für sein Kind dem Wocheneinkauf hinzufügen will, oder bei den Herstellerfirmen, die die Produktion in Auftrag geben und die Herstellungsumstände für ein möglichst billiges Produkt begünstigen? Und wie sähe es in einer Utopie aus, in der alle ausschließlich zu Bio-Produkten greifen würden?

Die Affäre von Konsum und Kapitalismus

Der Umsatz von umweltfreundlichen Alternativen hat sich in den letzten Jahren verdoppelt. Diese Profitsteigerung haben auch die Verantwortlichen im Auge. Somit werden die meisten Produkte nach wie vor billig und für geringe Vergütung im Ausland produziert, Inland-Produzierende können bei diesen Preisen nicht mithalten, und schon beginnt der weltumkreisende Kreislauf erneut. „Fair-Trade“ ist zudem begrifflich mindestens genauso flexibel wie jeglicher Flexitarier auf Erden. Es gibt keine einheitliche Definition und die Kriterien sind organisationsintern verpackt – meist im Gegensatz zu den Produkten selbst. Auch ein Umstieg auf Vegetarismus oder Veganismus besänftigt hauptsächlich das eigene Gewissen. Tiere werden jedoch genauso wenig entlastet wie die eigene Geldtasche. Die Fleischproduktion steigt stetig, auch wenn die Anzahl an Fleischessenden hierzulande sinkt. Die Restprodukte werden ins Ausland geschickt, die Preise sinken, die Herstellungskosten jedoch auch – denn billig-produziertes Fleisch will laut Herstellenden gern gegessen werden, wenn schon nicht hier, dann halt im Ausland. Leidtragende hierbei sind jedoch nicht die Herstellenden, sondern die Tiere und unsere Taschen. Auch der Umstieg auf Ökostrom und Co. hält Produzierende nicht davon ab, weiterhin Kohlestrom zu erzeugen. Firmen kaufen billig und kommen die Erde teuer zu stehen – auch wenn sie diese damit zu Fall bringen.

Auf tägliche Infrastruktur und preiswerte Reisealternativen zu RyanAir und anderen Billigfluganbietern haben wir als Individuen ebenfalls wenig Einfluss. So können wir die bewusste Entscheidung treffen, nach Möglichkeit auf öffentliche Verkehrsmittel zu setzen, aber abhängig sind wir schlussendlich dennoch davon, welche angeboten werden und wie weit wir dafür in die Tasche greifen müssen. Während wir dann auf unserem Fahrrad oder in der ratternden Tram zu unserer Arbeit oder in die Uni fahren, fliegt eine US-Sängerin während ihrer Mittagspause schnell mal nach LA, um dort ihr Gesicht auf Umweltkampagnen drucken zu lassen. Auch in der Politik wird viel Konsumkritik gepredigt. Diese wird von uns dann auf unseren Handys konsumiert, während wir hoffen, dass die Kopfhörer den Baustellenlärm des neuen Privatapartment-Komplexes nebenan ausblenden. Veränderung liegt primär nicht in der Hand der Einzelnen, sondern in der Hand, die deren Münder füttert. Kein Individualismus, sondern Politik.

Die Hoffnung liegt also nicht nur im Handeln, sondern auch im Hinterfragen. Das System muss sich ändern und mit ihm auch wir uns. Auch kleine Steine können große Wellen schlagen. Die Welt retten können sie oft nicht, dafür aber Systeme ins Wanken bringen. Wir, David, gegen Goliath. Und wenn wir ihn nicht mit unseren Steinen stürzen können, dann vielleicht mit dem Seil, an dem ab jetzt in neuer Aufstellung gezogen wird.

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