Overthinking: Von Wurmlöchern bis zum Grübelstuhl

von Kristina Kerber
Lesezeit: 5 min
Denken. Man kommt leider nicht drum herum. Aber was, wenn das Gedankenkarussell weitergeht, obwohl man selbst schon lang ausgestiegen ist?

Wir tun’s alle. Manche mehr als andere, wie böse Zungen behaupten würden. Und manche denken sogar beim bösen Züngeln. Kann Denken also jemals was Schlechtes sein? Immerhin hat sogar Descartes schon seine Existenz am Denken festgemacht. Aber wie bei allen Dingen, man nehme Kuchen als Beispiel, gibt es auch bei guten Dingen ein eindeutiges „zu viel“. Spätestens dann, wenn einem der halb-verdaute Gedankenkuchen zu den Ohren raushängt und man drüber nachzudenken anfängt, ob zerdachter Gedankenkuchen jetzt eine gute Metapher war oder nicht. Stichwort Zerdenken: Man kann sich so ziemlich alles durch die Macht der Gedanken in Existenz rufen. Gleichzeitig aber kann man Gedankenkonstrukte nicht nur erdenken, sondern durchs Zerdenken auch wieder zum Einsturz bringen. So kann man der größte Philosoph der Weltgeschichte sein, aber wenn man nach drei Stunden immer noch vor dem Laptop sitzt und sich nicht für eine Netflix-Serie entscheiden kann, dann bringt einem das ganze gedachte Gedankengut nichts. Gedankenungut nennt man das dann.

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Manifestation und die Macht der Gedanken

Für all diejenigen unter uns, die im 21. Jahrhundert angekommen sind, dürfte Manifestation nichts Neues sein. Für alle, die noch Kabelfernsehen konsumieren: Unter Manifestation versteht man die gezielte gedankliche Steuerung der Realität, in der das Universum durch die Macht der Gedanken – laut Theorie der Manifestation – beeinflusst werden kann. Die Theorie lautet, dass alles Energie ist, und dass man mit dem Gesetz der Anziehung positive Dinge in sein Leben manifestieren kann, sofern man auch positive gedankliche Energie ins Universum entsendet. Klingt vielleicht erstmal schräg, ist es vielleicht auch, aber in gewisser Weise kann man schwer abstreiten, dass das eigene Denken einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung sowie das Er- und Gelebte hat. Um wieder auf Descartes zu verweisen – wir denken, also sind wird. Demnach macht das Gedachte einen großen Bestandteil des tatsächlich Gelebten aus. Was wären wir denn ohne unsere Wahrnehmung? Selbst wenn die Welt um uns herum ganz anders aussieht, als wir sie uns vorstellen – würde das einen Unterschied für uns machen, wenn wir sie eben genau so empfinden, wie sie in unserer subjektiven Wahrnehmung vorliegt? Selbst wenn wir in einer Matrix oder einer geteilten oder alleinigen Delusion leben – wäre das nicht trotzdem unser reelles Leben, allein deshalb, weil wir’s eben denken?

„10 Memes für Overthinker“ oder „Wie man aus tatsächlich psychischer Belastung den Kassenarzt zum Lachen bringt“

Gedanken lassen ist wie Aderlassen im 19. Jahrhundert: schwer zu lassen, wenn man mal angefangen hat – zumindest, bis man dann blutleer ist. Oft fühlt sich Overthinking an, als würde man mit einem Erzähler im eigenen Kopf leben, den man nicht ausschalten kann. Da wird dann sogar das eigene internale Kommentieren kommentiert, bis man schließlich um drei in der Früh im Bett liegt, und das eigene Denken zerdenkt. Aber Overthinking ist mehr als nur ein quirky Begriff der heutigen Zeit, mit dem sich viele identifizieren können. In vielen Fällen kann es tatsächlich zur psychischen Belastung führen, die dann nicht mehr zum Belachen ist. Gerade, wenn sich auch „intrusive thoughts“, oder „Zwangsgedanken“ dazu schleichen, die man, genau wie das Overthinking, nicht kontrollieren oder abschalten kann. Die Macht der Gedanken schön und gut. Was aber, wenn die Gedanken Macht über einen übernehmen? Wenn diese Gedanken schon so mächtig sind, wer weiß, was sie mit der gedachten und gelebten Realität anstellen können.

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Der Grübelstuhl

Lernen, der Intuition zu vertrauen, lautet die Devise. Was aber, wenn die Intuition unter einem Berg an zerdachten Gedanken vergraben ist und man sogar deren Hilfeschreie vorlauter Gedankenberge nicht mehr hört? Zwar gibt es leider keine Wunderpille, die man einwerfen kann, um den eigenen Narrator zum Schweigen zu bringen, aber immerhin gibt es einige Strategien, um wenigstens die Tonstärke in den Griff zu bekommen. Beispielsweise gibt es Tricks wie den „Grübelstuhl“, bei dem man sich einen dezidierten Platz zum gezielten Zerdenken festlegt, bei dem man alle Gedanken freien Lauf lässt. Beim Verlassen dieses Grübelplatzes jedoch nimmt man sich dann selbst vor, dieses intensive Grübeln wirklich nur auf diesen zeitgebundenen Ort zu beschränken.

Der starrende Houdini

Auch kann man das Hirn austricksen. So kann man von neueren Forschungsergebnissen ableiten, dass das Gehirn automatisch ein „zu viel“ an Gedanken stoppt, wenn man nur die Augen still haltet. Die These dahinter lautet, dass das Gehirn ein Bewegen der Augen benötigt, um zu denken und Erinnerungen abzurufen. Somit ist bewusstes Augen-Innehalten eine einfache Methode, das Gehirn kurzzeitig zu entlasten und den Gedankenfluss zu unterbrechen.

Der katastrophierende Kriesenberater

Es hilft auch, Grübelgedanken von anderen Gedanken zu unterscheiden und sie als diese Übeltäter zu enttarnen, bevor man sie zur Realität werden lässt. Oft fällt es dann leichter, sich bewusst „Stopp“ zu sagen, bevor man zu tief abdriftet. Dann kann man auch geordneter an das Gedachte drangehen und Katastrophisieren von produktivem Denken abgrenzen. Natürlich gelingt das nicht immer. Dann kann es auch helfen, ins Katastrophendenken hineinzugehen und sich bewusst in den gedanklichen Kaninchenbau hineinzuwerfen. Jeder kennt sie, diese „was wäre, wenn“-Gedanken. Aber was passiert, wenn man ihnen bewusst folgt: Ja, was wäre denn, wenn? Somit kann man die oft kontinuierlich ausartenden Gedanken besser kategorisieren und wieder in der momentanen Realität verankern. Verschriftlichen und Verbalisieren hilft dann auch dabei, das eigene Gedachte von Innen nach Außen zu bringen. Immerhin ist es oft leichter, anderen Ratschläge zu geben, während man bei sich selbst oft scheitert, weil die Gedankenwelt – im Gegensatz zum zwangsweisen geordneten Externalisierten – oft ein nicht enden wollendes, in sich verstricktes Wurmloch ist.

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Abschließende Gedanken

Denken ist eines unserer höchsten Güter. Man sollte es aber mit Maß und Ziel einsetzen und sich selbst nicht die eigene Existenz à la Descartes zer-denken. Overthinking – überdenken also. Immerhin bekommen wir fürs Grübeln, egal wie viel und wie fleißig, keinen Nobelpreis, sondern enden ganz simpel einfach am selben Ort, wo die Gedankenreise begonnen hat.

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