Memento Mori – Die Endlichkeit des Seins

von Kristina Kerber
Schlagwörter: Lesezeit: 5 min
Memento Mori – bedenke, dass du sterblich bist. Sterben. Was bedeutet das eigentlich? Die tagtägliche Konfrontation mit Corona hat uns gelehrt mit dem Tod zu leben. Aber welche Auswirkungen hat das auf uns, unsere Gesellschaft, unser Bewusstsein?

Gedenke des Todes

Innsbruck hat sieben städtische Friedhöfe. Ruhestätten, die inmitten von COVID-19 zunehmend neue Gesichter empfangen. Ruhestätten. Klingt fast schon zu friedlich für etwas, das wir als das Ende unserer eigenen kleinen Welt betrachten. Bei der Vorstellung, die heutige Situation dem eigenen Selbst aus dem gefühlt Jahrhundert-entfernten Jahr 2019 zu erklären, wirkt nahezu lächerlich. Die Universität immunisiert vor reißerischen Schlagzeilen, immerhin hat die Menschheit schon etliche Pandemien erlebt. Pest, Pocken, Papperlapapp. Was soll die Batman-Krankheit schon schlimm anrichten? Heute sieht die Situation anders aus. Unsere eigene Sterblichkeit ist uns bewusster als jemals zuvor. Tür zu, Maske auf, die Hände mit Desinfektionsmittel einbalsamieren und dem Nachbarn mit zusammengekniffen Augen aus der Ferne ein Lächeln signalisieren. Der unsichtbare Virus äußert sich nicht durch eine actionreiche Zombieapokalypse. Stattdessen sind es täglich steigende Zahlen, Statistiken und Sicherheitsvorkehrungen, die sich an unserem Gehirn nähren. Der Tod wandelt unter uns. Zwar müssen wir uns nicht aufgrund von fallenden Bomben in Schutzbunkern verbarrikadieren, aber dafür hält uns ein unsichtbarer Virus auf unserer Couch gefangen. Masken wie in Low-Budget-Katastrophenfilmen, Menschen in Schutzkleidung, die ein Teststäbchen in Nase oder Rachen schieben und sich auf die Suche nach einem ominösen Antigen machen. Bedenke, dass du sterblich bist. Gesprochen von einem Sklaven ins Ohr eines römischen Feldherrn, der im Schutze seines Triumphwagens den irdischen Ruhm auskostet. Aber wie auch der letzte Tropfen Dom Pérignon, gehen sowohl der Champagner wie auch der hohnlächelnde Mund früher oder später zugrunde.

Wer weiß schon, wie sich der Tod anfühlt. Einfach mal die Augen schließen und für ein paar Stündchen der Welt entschwinden… mit dem Unterschied, dass diese paar Stündchen eine Ewigkeit andauern? Das Warten auf den nächsten Bus kam mir letzte Woche wie eine Ewigkeit vor. Aber wie kann ich meine innere Unruhe an der Bushaltestelle mit der ewigen Ruhe in einem Sarg – oder Gott weiß wo – vergleichen? So deprimierend es auch klingen mag – wir sind geboren, um zu sterben. Klingt ziemlich endgültig. Aber wie geht der Mensch mit ebendieser Endgültigkeit um? Wie können wir als Gesellschaft mit unserem kollektiven Todesbewusstsein umgehen? Sollten wir es fördern oder unterdrücken? Es willkommen heißen oder die Arme verschränken? Und was sollen wir mit diesem Bewusstsein anfangen, wenn es ohnehin nur auf ein Ende hinausläuft? Die Vorstellung, dass der Tod Auswirkung auf unser Leben hat, klingt bestenfalls ironisch und schlimmstenfalls morbide. Themen wie das Altern und Sterben sind in unserer westlichen Gesellschaft nach wie vor größtenteils Tabu. Aber was passiert nun, wenn wir täglich mit einer Pandemie konfrontiert sind, die nicht nur die Wirtschaft und unsere Unbeschwertheit, sondern auch zahlreiche Mitmenschen in Risikogruppen bedroht? Die Augen vor dieser neuen Realität zu schließen, wirkt nicht mehr nur naiv, sondern schlichtweg unmöglich. Vielleicht ist es aber genau dieses Augenöffnen, das es uns erlaubt, den Tod in unser Leben zu lassen und zu spüren, wie kostbar jeder Atemzug ist.

Wie die Zeit vergeht

Je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit. War die Weihnachtszeit als Kind noch besinnlich, so gleichen diese vierundzwanzig Tage eher einem stressbedingten Augenreiben. Aber das ist der routinierte Alltagswahnsinn. Richtig spüren kann man die Vergänglichkeit der Zeit nämlich erst, wenn man einen Spiegel vorgehalten bekommt. Der Anblick seines nun erwachsenen Kindheitsfreundes, der gepflanzte Sprössling, der jetzt seine Äste gen Himmel streckt, das jüngere Geschwisterchen, das jetzt den ersten Freund nach Hause bringt. Wie vergänglich Jugend doch ist. Aber was passiert, wenn man seinen letzten Lidschlag hinter sich hat? Erlischt das innere Seelenlicht und man ist zu ewigwährender Dunkelheit verdammt? Es gibt etliche Berichte von Nahtoderfahrungen, von spirituellen Erfahrungen, vom Blick ins sagenumwobene Jenseits. Aber was soll man überhaupt unter diesem Jenseits verstehen, wenn sich schon das Diesseits unter den eigenen Füßen herumdreht?

Memento vivere – vergiss nicht zu leben!

Auch im Spätmittelalter, einer historischen Periode geprägt von Kriegen, Seuchen und Hungersnöten, war der Tod im Bewusstsein der Menschen verankert. Ein schwerer, zehrender Anker, der die irdische Vergänglichkeit mit der Macht des Todes aufwiegt. Zumindest in unserer westlichen Gesellschaft sind wir fernab von Hungersnöten und Kriege kennen wir hauptsächlich aus Geschichtsbüchern. Auch Instagram und Co sind eher dafür da, unsere Vergänglichkeit zu verbannen und unser Streben nach ewig anhaltender Jugend zu immortalisieren. Mit einer Pandemie wurde der Tod jedoch konkretisiert, greifbar gemacht. Tod ist nicht mehr nur ein Moment. Tod ist ein neuer Bewusstseinszustand, der uns selbst beim Blick aus dem Fenster auf maskentragende Massen, wie ein dunkler Schatten im Nacken sitzt. Der Tod als einzige Gewissheit inmitten einer von Fragen gekennzeichneten Existenz. Mit unseren Pipetten, Mikroskopen und Computern versuchen wir alles daran zu setzen das Leben zu verlängern, dem Tod zu trotzen, oder gar Leben zu kreieren, das vor den Fängen der Dunkelheit verschont bleibt. Die Sterblichkeit. Sie ist es, die zwischen Menschen und Göttern differenziert. Sie ist es, die das Feuer ins uns entfacht und im selben Wimpernschlag wieder erstickt. Aber sie ist es auch, die uns einen Dorn ins Fleisch bohrt, der uns dazu bewegt, aufzustehen und zu leben, abseits von bloßem Existieren. Bislang gibt es kein Elixier fürs ewige Leben. Aber genauso wenig gibt es ein Extrakt, das uns mehr die Lungen fürs Leben öffnet, wie der Exitus. Memento mori – sei dir deiner Sterblichkeit bewusst. Ein Denkanstoß, eine beschwörende Mahnung, das Leben auf den Tod vorzubereiten und den Atemzug zu genießen, selbst verborgen hinter einer Maske. Obgleich Geburtstage, Zeit mit Freunden, oder das Warten an der Bushaltestelle – es ist wichtig, dass wir uns mit dem Wert jedes Atemzuges auseinandersetzen. Bewusst wahrnehmen, bewusst erleben, bewusst leben.

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