Dr. Viola – häusliche Gewalt in Tirol

von Julia Hohengasser
Lesezeit: 4 min
Home sweet Home – doch was tun, wenn die eigenen vier Wände kein sicherer Zufluchtsort mehr sind? Der Notruf „Ich muss zu Dr. Viola“ gibt Opfern häuslicher Gewalt eine Möglichkeit, diskrete Hilfe am Uni-Klinikum Innsbruck zu bekommen.

Häusliche Gewalt hat viele Formen. Sie bezeichnet Taten zwischen Menschen, die in einer Gemeinschaft leben, wie etwa in einer Ehe, Lebenspartnerschaft oder in einer intimen Beziehung. Im Gegensatz zu einem Streit geht es bei Gewalt oftmals darum, das Gegenüber zu dominieren oder eine Überlegenheit auszunützen. Jedem kann Gewalt angetan werden, besonders häufig erleben jedoch Kinder, Jugendliche, Frauen, Menschen mit Behinderung, ältere sowie kranke Menschen eine Gewalterfahrung. Die Täter sind häufig Ehemänner, Lebensgefährten, Freunde oder ehemalige Partner. 

Häusliche Gewalt kann überall stattfinden und hat verschiedene Facetten. Der Ort des Geschehens kann dabei auch außerhalb der Wohnung liegen, etwa auf der Straße, in einem Geschäft oder sogar auf der Arbeitsstelle, häufig ist jedoch die Wohnung selbst der Tatort.

Meist beginnt häusliche Gewalt schleppend, anfangs ist einer der Partner launisch oder rastet schnell aus. Dann folgen meist seelische Grausamkeiten, etwa Demütigungen. Oft bleibt es nicht bei einem einzigen Vorfall. Die Angriffe wiederholen sich und werden in der Regel mit der Zeit schlimmer. Die häufigsten bekanntgemachten Anzeigen sind unter anderem Körperverletzung, gefährliche Drohungen, Verfolgungen sowie sexuelle Übergriffe. Besonders belastend für die Betroffenen ist es, dass die Gewalttaten meistens in einer Umgebung stattfinden, die eigentlich sicher sein sollte.

Weniger Anzeigen, mehr häusliche Gewalt

Laut Kriminalstatistik wurden im letzten Jahr zirka 1300 Personen, davon rund 80% Frauen, Opfer häuslicher Gewalt. Dies entspricht 16% mehr als im Vorjahr und zeigt einen signifikanten Anstieg gewalttätiger Handlungen in den eigenen vier Wänden. Nicht nur die Personen, denen Gewalt angetan wurde, mussten darunter leiden. Ebenso die Kinder, die in diesen Haushalten leben, waren zumindest indirekt von den Auswirkungen solcher Taten betroffen. Die Dunkelziffer ist jedoch beachtlich, da dieses Thema stark tabuisiert wird. Meist scheuen sich die Opfer davor, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, oder sich ihrem Umfeld anzuvertrauen.

Besonders während der Pandemie und des Lockdowns befürchteten Experten und Expertinnen einen Anstieg häuslicher Gewalt. Die Corona-Krise stellt viele Partnerschaften und Familien vor große Herausforderungen. In der aktuellen Situation steigen Existenzängste, durch den damit ausgelösten Stress erhöht sich die Gewaltbereitschaft deutlich. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten, sich im Freundes- oder Familienkreis und auch bei Beratungsstellen Hilfe zu suchen, begrenzt. Durch Kontaktbeschränkungen und Quarantäne mussten Hilfsangebote eingeschränkt werden. 

Die Zahlen der Opfer blieben in dieser Zeit gleich, jedoch veränderte sich das Verletzungsmuster. Besonders schwere Fälle haben seit der Pandemie zugenommen. Mindestens ein Fall wöchentlich ist in der Universitätsklinik Innsbruck zu verzeichnen, jedoch ist die Dunkelzahl weitaus höher. Nicht alle Verletzungen können von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Krankenhauses auf häusliche Gewalt zurückgeführt werden und viele Betroffene haben zu viel Angst vor den Tätern, sodass sie sich keine Hilfe suchen.

Dr. Viola: wenige Worte, die Leben retten

„Ich muss zu Dr. Viola.“

Bereits während der ersten Pandemiewelle begann das Team der Opferschutzgruppe der Innsbrucker Klinik mit dem Konzept, das Krankenhaus zu einem Refugium für Opfer häuslicher Gewalt zu machen. Dank dem neuen Sicherheitskonzept am Uniklinikum bekommen Opfer häuslicher Gewalt ohne Probleme diskrete und schnelle Hilfe. Die Tirol Kliniken entwickelten einen Code, der sofort einen internen Notfallplan aktiviert. Sobald eine Person auf dem Areal des Uniklinikums jemandem vom Krankenhauspersonal mitteilt, dass sie zu Dr. Viola müsse, werden alle Hebel in Gang gesetzt, um dem oder der Betroffenen zu helfen. Die Person wird nicht mehr aus den Augen gelassen und an einen sicheren Ort gebracht. Der Code wurde entwickelt, da Betroffene oft unter einem starken Kontrollzwang der Täter leiden und kaum alleine unterwegs sein dürfen. Durch den Satz „Ich muss zu Dr. Viola“ kann ein Hilferuf abgesetzt werden, ohne die Aufmerksamkeit des Täters auf das Opfer zu lenken. Der Name Viola wurde dabei nicht willkürlich ausgewählt. Dieser sollte für alle Menschen, gleich welcher Nationalität, einfach auszusprechen sein. Besonders für jene, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Auch hat Viola eine Verbindung zum englischen Wort „violence“ sowie zur Farbe violett. Diese stellt in der Farbenlehre eine Verbindung zwischen Rot (weiblich) und Blau (männlich) her und ist damit die Farbe der Gleichberechtigung. 

Um Gewaltopfern zu helfen, gibt es bereits seit einigen Jahren ein Modell aus Skandinavien an den Kliniken in Tirol. Nach diesem Modell werden jedem Patienten bei einem Krankenhausaufenthalt drei Fragen gestellt. Erstens, ob jemand wisse, dass sich die Person im Krankenhaus aufhält, zweitens, ob es jemand nicht wissen soll und drittens, ob sich die Person bedroht fühle. Seitdem dieses Konzept angewandt wird, macht das Krankenhauspersonal die Erfahrung, dass sich Gewaltopfer vermehrt öffnen und Hilfe suchen.

Die meisten Personen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, scheuen sich davor Hilfe zu holen, da sie sich schämen oder Angst haben, selbst als Schuldige verurteilt zu werden. Diese Hemmschwelle soll mit dem Codewort verringert werden. 

Das Konzept von Dr. Viola hat das Ziel, im Laufe der Zeit auch auf alle anderen Krankenhäuser in Tirol ausgeweitet zu werden, um allen Betroffenen eine Möglichkeit zu geben, die Hilfe in Anspruch nehmen zu können, die ihnen zusteht.

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