Der Hass im Gebirge: Philosophicum Lech

von Tobias Jakober
Lesezeit: 5 min
Über mehrere Tage macht sich der Hass in Lech in den Vorarlberger Bergen breit. Auf dem Philosophicum 2022 debattieren und sinnieren viele der hellsten – und viele grauhaarige – Köpfe über dieses elementare menschliche Gefühl und seine Anatomie.

Zwischen Skiliften und Kuhweiden ist nicht unbedingt der Ort, an dem man eine Herde Philosophen vermuten würde. Und doch versammeln sich von 21. bis 25. September in Lech am Arlberg Wissenschaftler, Autorinnen und Interessierte, um sich der philosophischen Diskussion zu widmen. In diesem Jahr wird das Philosophicum Lech 25 Jahre alt.

„Hass ist kognitiv nicht sehr anstrengend“, formuliert es der österreichische Gerichtspsychiater Reinhard Haller in seinem Vortrag provokant. Wohl aber ist es das Nachdenken und Debattieren über den Hass. In den über zehn Beiträgen renommierter Wissenschaftlerinnen und Denker über vier Tage verteilt wird der Hass genauestens seziert. Es geht um seine Erscheinungsform und Tarnung, die Lust am Hassen und den Schaden, der uns durch ihn entsteht, sowie Ideen, woher er kommt und wie wir mit ihm umgehen lernen.
Im Anschluss an zwei jeweils einstündige Vorträge wird auch das Publikum zur Diskussion gebeten – alle Fragesteller zu Wort kommen zu lassen, erweist sich im voll gefüllten Saal des sport.park.lech nicht immer als so einfach. Etwa 600 Besucherinnen und Besucher haben sich hier zusammengefunden.

25 Jahre Geist im Gebirge

Geboren wurde die Idee für eine wiederkehrende Tagung vor der imposanten Kulisse der Bergwelt im Jahre 1997 vom Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier sowie dem Philosophen und Kulturpublizisten Konrad Paul Liessmann. Zum damaligen Zeitpunkt startete man noch mit schlankerem Rahmenprogramm und einer Zahl von 100 Gästen.

Der Kontrast zwischen dem hochphilosophischen Spektakel und der dörflichen Bühne hier im Gebirge wird schon bei der Eröffnungszeremonie offenbar. Es spielt die Trachtenmusikkapelle von Lech ein Ständchen, Bürgermeister, Bischof und Dorfpfarrer schütteln viele Hände. Das Publikum wiederum kommt aus dem ganzen deutschsprachigen Raum – vor allem aus den Städten. So auch Katharina und Max. Die beiden studieren in Wien und haben für das Philosophicum ein Stipendium gewonnen. Sie habe von der Ausschreibung in einer Facebook-Gruppe aus dem Studium gelesen, erzählt Katharina. Um sich zu bewerben, musste man ein Essay einreichen, das sich mit dem Tagungsthema Hass auseinandersetzt. „Ich bin ganz gut im Schreiben und bei einem vorgegebenen Thema fällt es mir leichter, mir etwas zu überlegen“, so Katharina. Für Max, der am Ende seines Studiums steht, war das Reizvolle, etwas zu machen, das über seine Disziplin der Geschichtswissenschaft hinausgeht.

Zwischen Wissenschaft und Festwochen

Foto: Florian Lechner

Interdisziplinär war das Philosophicum auch von Beginn an gedacht. So sind weder im Publikum noch bei den Vortragenden ausschließlich Philosophen vertreten. Luft nach oben bleibt jedoch bei der demographischen Durchmischung der Teilnehmerinnen und Zuschauer. Im Saal dominieren die weiß- und grauhaarigen Köpfe, während sich vor dem Veranstaltungszentrum ein SUV neben die nächste Limousine reiht. 80 Prozent der Teilnehmenden sind nicht zum ersten Mal hier. Darin sieht auch Max ein Problem. „Es will einerseits eine wissenschaftliche Veranstaltung sein, wirkt aber teilweise wie eine Publikumsveranstaltung, die man wie die Festwochen besucht.“ Hinzu kommt, dass auch finanzielle Hürden den Weg aufs Symposium erschweren: zum einen die Tagungsgebühren – die für Studierende ermäßigt sind – sowie die Unterkunft und Verpflegung in Lech. Mirjam Fritz, die sich um die Organisation des Philosophicums kümmert, teilt die Bedenken nicht. Man müsse die Gebühren verlangen, um die Kosten für Technik, Catering und Referenten zu decken. Es gebe aber eine große Vielfalt bei den Teilnehmern und durch die Medienberichte würde auch eine Breitenwirksamkeit erreicht werden. „Aber wir haben auch den Anspruch, mehr junge Leute hierherzubringen. Dafür gibt es das Stipendienprogramm oder auch Kooperationen mit Schulen in Vorarlberg.“

Alte Bekannte und bekannte Alte

Zu den ein wenig älteren Gästen zählt etwa Petra Morschheuser aus Deutschland, die seit 15 Jahren nach Lech kommt. „Die Bearbeitung eines Themas aus den verschiedensten Blickwinkeln stellt für mich einen Quell der Inspiration dar“, sagt sie. Angesprochen auf den größeren Nutzen für die Gesellschaft meint sie, wir hätten es verlernt zu diskutieren und hier sei der Ort, um wieder damit anzufangen. Etwas weniger optimistisch sieht das Hartwig Eugster aus Vorarlberg, der sich seit seiner Pensionierung mehr für die Geisteswissenschaft zu interessieren begonnen hat. „Wir reden hier tagelang vom Hass und wie wir ihn loswerden, aber die, die es wirklich angehen würde, sind gar nicht hier.“ Er nutze das Philosophicum vor allem, um mit ganz anderen Leuten und Themen in Kontakt zu kommen als in seinem Berufsleben als Ingenieur.

Foto: Florian Lechner

Weiße Häupter und rauchende Köpfe beim Philosophicum Lech

Dass sich die meisten Menschen auf der Tagung schon seit Jahren kennen, wird auch bei den Vorträgen und Diskussionen immer deutlicher. Je weiter das Symposium fortschreitet, umso lockerer wird die Stimmung, es wird gelacht, geschimpft und geklatscht.
Sich tagelang mit dem Hass auseinanderzusetzen, scheint die Gemüter der Menschen nicht im Mindesten zu trüben. Katharina meint, es sei eher befreiend: „Es löst die Scham, mit der der Hass oft besetzt ist, wenn man sich offen und rational darüber unterhält.“ Nach einem Spruch von Marie Curie heißt es: „Was man zu verstehen gelernt hat, das fürchtet man nicht mehr“ – ob das Philosophicum diesem hehren Ziel gerecht wird und uns zu einem tieferen Verständnis des Hasses und Hassens führt, bleibt fraglich. Eine inspirierende Woche ist es allemal.

 

Schreibe einen Kommentar

* Durch die Verwendung dieses Formulars stimmst du der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten durch diese Website zu.

Artikel aus der selben Rubrik