Zwischen Waffenlieferungen und Hilfspaketen: Deutschlands doppelte Buchführung im Nahostkonflikt

von Benjamin Hofer
Lesezeit: 5 min
Über Gaza wird momentan nahezu zeitgleich Tod und Zerstörung in Form von Bomben sowie Leben und Hoffnung in Form von Hilfspaketen abgeworfen. In beiden Fällen hat die Bundesrepublik Deutschland die Hände im Spiel.

Auf der Bühne der globalen Politik spielt Deutschland akut eine Rolle, die von einer schmerzhaften Ambivalenz durchzogen ist. Die Handlungsstränge sind bestimmt von Waffenlieferungen und Hilfspaketen, Protagonisten sind zerstörerische Bomben und lebenserhaltende Nahrungsgüter. Es ist eine Geschichte, in der sich die Schwere der Verantwortung und die Zerbrechlichkeit des Friedens kreuzen.

Deutsche Waffenexporte in Zahlen

Im vergangenen Jahr genehmigte die Bundesregierung Kriegswaffenexporte nach Israel im Wert von 20,1 Millionen Euro, darunter 3.000 tragbare Panzerabwehrwaffen, 500.000 Schuss Munition und weitere Komponenten, wie aus einer Mitteilung des Wirtschaftsministeriums an die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Bündnis Sahra Wagenknecht) hervorgeht. Insgesamt stiegen die Rüstungslieferungen an Israel auf 326,5 Millionen Euro, ein zehnfacher Anstieg gegenüber dem Vorjahr.

Die Sicherheit Israels sei ein zentraler Bestandteil der deutschen Staatsräson, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz wiederholt nach der Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober. Als Reaktion darauf erklärte das für Waffenexporte zuständige Wirtschaftsministerium im November, dass Exportanträge für Rüstungsgüter nach Israel prioritär behandelt würden. Die meisten dieser Genehmigungen wurden nach dem Angriff erteilt.

Auch wenn Israel zweifellos das Recht auf Selbstverteidigung gegen die entsetzlichen Angriffe der Hamas besitzt und Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland dieses Recht unterstützen dürfen, stellt sich dennoch die kritische Frage: Wann überschreitet die Ausübung der Selbstverteidigung und dessen Folgen die Grenzen des ethisch Vertretbaren? Die jüngsten Berichte von Amnesty International und des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) werfen ein grelles Licht auf die möglichen völkerrechtlichen Verstöße, die durch diese deutschen Waffenexporte nach Israel entstanden sind und entstehen könnten.

Humanitäre Hilfe als Gegensatz

Gleichzeitig spielt die Bundesrepublik Deutschland in der humanitären Krise in Gaza noch eine andere Rolle, denn durch die Abwürfe von Essenspaketen aus deutschen Flugzeugen soll der humanitären Notlage entgegengewirkt werden. Laut Angaben des Deutschen Auswärtigen Amtes nimmt die Bundesrepublik Deutschland seit dem 16. März an Luftabwürfen für die notleidende Bevölkerung in Gaza teil.

Diese umfangreiche humanitäre Aktion ist das Ergebnis einer intensiven deutsch-französischen Zusammenarbeit: Zwei Hercules-Transportflugzeuge, bereitgestellt von der Bundeswehr und ausgestattet mit französischen Fallschirmsystemen, wurden von Évreux in der Normandie nach Jordanien verlegt. Von dort aus transportieren sie Hilfsgüter nach Gaza. Hier zeigt sich Deutschland von einer Seite, die auf die Wahrung der Menschenrechte und die Linderung menschlichen Leids abzielt.

Das Leid in Gaza

James Elder, UNICEF-Sprecher, schilderte in seinem jüngsten Bericht die dramatischen Lebensbedingungen in Gaza. Seinen Darstellungen zufolge droht im nördlichen Gazastreifen eine unmittelbare Hungersnot. Ein Drittel der Kinder unter zwei Jahren leidet laut UNICEF unter akuter Mangelernährung. Außerdem kämpft die palästinensische Bevölkerung mit extremer Wasserknappheit – aktuell steht im Durchschnitt weniger als ein Liter sauberes Wasser pro Person und Tag zur Verfügung.

Diese Verschärfung der humanitären Krise wird durch die anhaltende Blockade von Hilfslieferungen täglich intensiviert, denn trotz der dringenden Notwendigkeit bleibt der Grenzübergang Erez geschlossen, was die Zustellung lebenswichtiger Hilfsgüter behindert und direkte, tödliche Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung hat. Der UNICEF-Sprecher berichtet von seinem Gaza-Besuch im März, wo er Hunderte von Lastwägen, beladen mit lebensrettender humanitärer Hilfe, vor der Grenze zu Gaza festsitzen sah. Diese Fahrzeuge – viele im Auftrag der Vereinten Nationen und internationaler NGOs – befanden sich in einem scheinbar endlosen Stau, wartend auf die Erlaubnis, einfahren zu dürfen. Besonders kritisch ist die Situation für die UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten), die bisher 50 Prozent der Lebensmittellieferungen in den Norden bereitstellte, nun jedoch daran gehindert wird, ihre lebenswichtigen Güter zu verteilen.

Klartext: Die Unterbindung lebensrettender Hilfe kostet Menschenleben und missachtet grundlegend die Menschenwürde. Doch auch die direkten Auswirkungen von Waffenlieferungen an Israel sind augenscheinlich. Nicht zuletzt beim Anblick der Überreste der zweitgrößten Stadt im Gazastreifen, Chan Yunis: Was einst eine belebte Gemeinde war, liegt nun brach. James Elder beteuert, dass die totale Zerstörung dort alles übersteigt, was er in zwei Jahrzehnten bei den Vereinten Nationen gesehen hatte, und beschreibt das verwüstete Gebiet als Chaos und Ruinen, Schutt und Trümmer, in alle Richtungen verstreut.

Foto: Naaman Omar /APAimages

Die moralische Dichotomie politischer Aktionen

Die Geräuschkulisse, die sich demnach in diesem von den unzähligen Auseinandersetzungen gebeutelten Gebiet abzeichnet, ist also beinahe so schrecklich und surreal wie heuchlerisch: einerseits das Klirren von Waffen, die Schulter an Schulter mit den Schatten ihrer eigenen Zerstörungskraft marschieren, andererseits das leise Flattern von Fallschirmen, die wie weiße Tauben über den Köpfen der hungernden Menschen langsam absteigen. Es ist eine visuelle und moralische Dichotomie, die Fragen über die Natur von Hilfe und Einmischung, von Verpflichtung und Moral aufwirft.

Julia Duchrow von Amnesty International spricht von einer Notwendigkeit der Prüfung – nicht nur der Legalität von Waffenexporten, sondern auch des Geistes, der hinter diesen Entscheidungen steht. Ist es möglich, Gerechtigkeit durch die Linse einer Waffe zu sehen? Kann Frieden wirklich aus dem Lauf einer Kanone geboren werden?

Während die deutsche Regierung ihre diplomatischen und wirtschaftlichen Muskeln spielen lässt, singen die Hilfspakete ein leises Lied der Hoffnung – ein Lied, das oft übertönt wird durch dröhnende Explosionen.

Die Tragik der deutschen Außenpolitik darf nicht nur als eine Frage der multilateralen Strategie, sondern muss auch als eine des menschlichen Gewissens betrachtet werden. Es ist ein Tanz auf dem Drahtseil der moralischen Dilemmata. Das deutsche Engagement in diesem von Komplexität nicht zu überbietenden Konflikt bleibt ein ambivalentes und auch zutiefst beunruhigendes Schauspiel, eine Aufführung, die die Zuschauer zur Reflexion anregen sollte. Noch wurde der Schlussakt dieser Tragödie nicht geschrieben. Die Frage bleibt: Welche Rolle wollen Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland in diesem Konflikt spielen?

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