Sexual Violence Sells?

von Kristina Kerber
Lesezeit: 6 min

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Sexuelle Gewalt an Frauen ist nicht nur ein Problem, sondern in Hollywood auch ein Geschäft. Um die Abscheulichkeit einer Tat zu verdeutlichen, muss diese nicht gezeigt werden. Wieso also wird der Tat mehr Aufmerksamkeit geschenkt als dem Menschen, dem diese zugefügt wurde?

Sexualisierte Gewalt hinterlässt Wunden abseits des Physischen. In einer mediengeprägten Welt sind wir mit visualisierten Versionen von ebendiesen Gewaltakten konfrontiert, welche wiederum Fragen bezüglich der Moralität hinter diesen Darstellungen aufwirft. Aufgrund der überhäufigen Repräsentation von Gewalt an Frauen konzentriert sich dieser Artikel auf sexuelle Gewalt an Frauen, weshalb es an dieser Stelle wichtig ist, auch auf sexuelle Gewalt gegenüber Männern hinzuweisen, die oft übersehen und verharmlost wird.

Visualisierung Sexueller Gewalt – Game of Thrones

Trotz unbestreitbarerer und aus subjektiver Sicht verdienter Beliebtheit begegnete der HBO-Show Game of Thrones viel Kritik – und das nicht nur aufgrund der zwei finalen Staffeln. Die Show zelebriert sich selbst damit, nicht vor Nacktheit, Sex und Gewalt zurückzuschrecken und diesen wie selten zuvor integrale Bildschirmzeit zu schenken. Dass dabei zumeist Frauen ins Zentrum der heiligen Dreifaltigkeit der „OMG, haben sie das wirklich gerade gezeigt?“ fallen, spaltet nicht nur Beine, sondern auch Gemüter. Zwar ist Nacktheit schlichtweg ein natürlicher Zustand des Körpers, gehört Sex in den meisten Fällen zum Leben dazu und ist Gewalt in einer Welt wie der in Westeros faktisch Alltag – immerhin befinden wir uns in der Serie unter mittelalterlichen Umständen – jedoch stellt sich auch die Frage, ob so manche dargestellte Szene wirklich notwendig ist oder sogar etwas von der erzählten Geschichte wegnimmt. Dass das Vorhandensein nicht-einvernehmlicher Sexualakte in einer dargestellten Zeitepoche wie dieser (leider) Sinn ergeben, ist nicht abzustreiten. In Frage kann man jedoch stellen, ob diese im Detail gezeigt werden müssen oder ob es ausreicht, sie anzudeuten und dann die Konsequenzen zu verbildlichen. Wenn Vergewaltigung an Frauen erst explizit gezeigt werden muss, um zu vermitteln, dass es sich dabei um eine Abscheulichkeit handelt, ist offensichtlich etwas schiefgegangen.

Bild: Pexels

House of the Dragon als Gegenbeispiel

Das dieses Jahr erschienene Prequel House of the Dragon steht in der achten Episode vor einer ähnlichen Situation – Alicents Sohn und potenzieller Königsanwärter Aegon vergewaltigt eines seiner Dienstmädchen. Dies wird aber nicht gezeigt. Stattdessen fokussiert sich die Serie darauf, was dies für beide Charaktere zu bedeuten hat. Die vorgefallene Tat wird dadurch jedoch nicht in den Schatten gestellt. Im Gegenteil. Die Zuschauer können sich die Schrecken des Geschehenen selbst zusammenreimen und Empathie gegenüber der Magd und fortführende Apathie gegen Aegon verspüren, ohne ein weiteres Gewaltverbrechen an Frauen mitansehen zu müssen. In vielen Fällen wird dies sogar aus der sogenannten Male Gaze – der Darstellung von Frauen aus einer männlichen, heterosexuellen Perspektive – gezeigt und ist ultimativ nur pseudo-aufklärerisch, dafür jedoch oft erotisiert und ästhetisiert. Hollywood will dem Publikum weismachen, dass Frauen im Mittelalter sauberes Haar und perfekte Zähne hatten und nach Gänseblümchen dufteten. Wenn sie sich schon Mühe geben, Frauen auf der Leinwand ästhetisch ansprechend aussehen zu lassen, warum fällt es ihnen dann so schwer, ihre Charakter nicht zur Opferrolle zu degradieren?

Ästhetisierte Gewalt an Frauen

Wie Gewalt an Frauen ästhetisiert, wenn nicht sogar fetischisiert wird, ist beispielsweise im Film Blonde „über“ Marilyn Monroe auf Netflix zu sehen. Ihren Namen für diesen Film zu leihen, gleicht einer Mundtodmachung, da es sich hierbei keineswegs um eine Darstellung der realen Person Norma Jean oder ihrer Medienpersönlichkeit Marilyn, sondern um die kinematographische Misshandlung von beiden handelt. Der Film lobt sich zwar gerne als Kunstverfilmung über eine fiktive Version von Marilyns Leben, jedoch missbraucht Blonde lediglich eine echte Person, um kunstvoll gefilmte Trauma-Pornographie, im wahrsten Sinne, an den Mann zu bringen. Der Film gönnt der fiktiven Marilyn keinen Moment der Glücksseligkeit und wirft die rehäugige Schauspielerin Ana de Armas stattdessen vom Regen in die Traufe – das Motto lautet: Beim Ersaufen ja die Kamera draufhalten.

Blonde – Gentlemen Prefer Pain?

Bild: Unsplash

„Sie hat sich umgebracht. In meinen Augen ist das das Wichtigste. Nicht der Rest. Es geht nicht um die Momente der Stärke“, so der Regisseur, der Marilyns Film Gentlemen Prefer Blondes als einen Film über gut angezogene Huren bezeichnet. Sein Film selbst hat allerdings nichts zu sagen. Man bekommt das Gefühl, er beschäftigt sich weniger mit dem Hauptcharakter und mehr mit den (in vielen Fällen fiktiven) Traumata, die sie durchleiden muss. Abseits von Kinematographie und Atmosphäre wird kein Kommentar über das durch die Parade an traumatischen Ereignissen ausgelöste Leid, insbesondere das Leid von Frauen in einer patriarchalen Welt, gemacht. Dies kann man wohl der Tatsache zuschreiben, dass der Film Marilyn selbst durch eine unbefangene und unreflektierte patriarchale Linse betrachtet. Die erste Vergewaltigungsszene passiert noch im ersten Viertel und spätestens, wenn der Film bei der minuten-andauernden oralen Vergewaltigungsszene mit John F. Kennedy angekommen ist, wird klar, wie wenig diese Themen den Film eigentlich interessieren. Während des ganzen Prozesses wird auf  Marilyns Mund gezoomt und trotz des Horrors in ihren Augen verschmilzt auch dieser Gewaltakt mit den endlos anderen (teils erfundenen) Gräueltaten, die Marilyn dank der Hand des Regisseurs erleiden muss. „Dreckige Schlampe“, hört man Kennedy sagen, während Marilyn sich fragt, wie sie hier gelandet ist. Diese Frage ist vermutlich auch die realistischste Überlegung davon, was sich die echte Marilyn über diesen Film denken würde. Den größten Kommentar bezüglich Marilyns Leid bekommen wir in Form eines sprechenden Fötus, der Marilyn ein schlechtes Gewissen für ihre (ungewollte) Abtreibung macht. Wieder stellt sich die Frage, ob all dieses Leid, all diese Gewalt an Frauen, all die Konsequenzen eines Lebens in den patriarchalen Klauen Hollywoods gezeigt werden müssen, um eine Botschaft effektiv zu vermitteln. Insbesondere wenn es scheint, dass hinter dem gezeigten Leid keine andere Botschaft steckt als der Wunsch, eine attraktive Schauspielerin in komplett erzwungener Unterwerfung zu zeigen und sich dadurch bemächtigt zu fühlen, eine hilflose nackte Frau bei ihr zugefügten Misshandlungen zu begaffen. Wir schauen ihr zu, anstatt das Geschehene durch ihre Augen zu betrachten. Sie ist ein Objekt des Mitleids, kein eigenständiger Charakter.

Vergewaltigung und andere Formen von sexualisierter Gewalt müssen nicht gezeigt werden, um zu vermitteln, wie schlimm sie sind und welche tragenden Konsequenzen sie mit sich führen. Wieso also muss der Blick des Zuschauers den Körper penetrieren, um einen Einblick in die Psyche der gezeigten Personen zu erhalten? Damit wird die Botschaft gesetzt, der Schweregrad des Vergehens wäre am körperlichen und nicht am seelischen Leid festgemacht. Es wird Zeit, sich mit dem Menschen und nicht der Tat, die diesem angetan wurde, auseinanderzusetzen.

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit: Melanie Falkensteiner

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