Kulturkampf ums Kaufhaus Tyrol

von Tobias Jakober
Lesezeit: 5 min
Der Kampf um die Fassade des neuen Kaufhaus Tyrol im Jahr 2007 zeigt eines ganz deutlich: über Kunst lässt sich trefflich streiten. Kunst ist aber nicht bloßes Werkzeug von Politik, sie darf nie ohne ihr gesellschaftliches Fundament gedacht werden.

Die Causa Kaufhaus

Es war ein einziger Aufschrei. Ein Chor von Rufen der Empörung. Die Planung der Fassade des neu gebauten Kaufhaus Tyrol ließ im Jahr 2007 die Wogen in der Stadt hoch gehen. Der erste Entwurf, der aus einem Architektenwettbewerb siegreich hervorgegangen war, wurde wegen seiner löchrigen Optik spöttisch als „Käsefassade“ getauft. Wegen des allgemeinen Widerstands gegen den ersten Vorschlag wurde als Kompromiss von dem Architekten Heinz Neumann aus Wien ein weiterer Entwurf ausgearbeitet. Wer meint, dass sich die Gestade damit beruhigt hätten, der irrt sich – aber gewaltig. Diese neu geplante Fassade ließ nun Architekten erst recht rebellieren, Künstler schrien Zeter und Mordio und Worte wie „Naziarchitektur“ und „Drittklassekompromiss“ wurden in den Mund genommen.

Was die Kritiker des neuen Entwurfs zum Schäumen brachte, war vor allem das Eingangsportal. Dieses sollte genau auf die einmündende Anichstraße ausgerichtet sein und schon von Weitem den Blick dominieren. Dies erinnere an eine „Achsenarchitektur“, wie man sie im Dritten Reich kannte und schätzte. Auch das restliche Erscheinungsbild dieses Kompromissentwurfs konnte nicht überzeugen, es sei „weder Fisch noch Fleisch“, man solle entweder das vorhandene Straßenbild erhalten oder es mit zeitgemäßer Architektur versuchen.

Wer hätte es gedacht – auch dieser Entwurf wurde wegen der massiven Proteste wiederum verworfen, denn aller guten Dinge sind bekanntlich drei. Der britische Architekt David Chipperfield war es schließlich, der den Plan einer Fassade entwarf, der es nun endlich allen recht machen konnte – das Ergebnis können wir heute in der Maria-Theresien-Straße in natura bewundern.

Kunst zwischen Kompromiss und Kompromittierung

Ist Kunst ein öffentliches Gut? Könnte sein. Aber heißt das dann auch, dass sie sich der öffentlichen Meinung beugen muss? Wenn ein Architekt ein Gebäude entwerfen soll, wer bestimmt dann dessen Aussehen? Ist es der Künstler selbst, der Investor, die direkt Betroffenen oder vielleicht der Bebauungsplan der Gemeinde? Bei vielen Bauten, die man sich so ansieht, liegt auch der Gedanke nicht fern, es wäre vor allem das Budget, das den Ton angibt.

Bei einem Gebäude in historischer Umgebung, wie es die Innsbrucker Innenstadt nun einmal ist, spielt der Denkmalschutz eine große Rolle. Auch wenn dieser zuweilen Auswüchse bilden kann, welche die allermeisten bloß ratlos mit dem Kopf schütteln lassen, sollten wir seinen Wert nicht unterschätzen. Vor allem in den 50ern und 60ern gab man noch herzlich wenig auf alles Alte. Bereits im Zuge des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg begann der große Umbau der zerstörten Städte in den meisten Teilen Europas. Jahrhundertealte Bausubstanz musste autogerechten Straßenbreiten und geschmacklosen Betonbauten weichen.

Zum Glück, muss man sagen, haben sich in Innsbruck viele der alten Gebäude erhalten, schließlich bildet die Alt- und Innenstadt heute das touristische Herz der Stadt. Aber wie weit soll unsere Liebe zum alten Mauerwerk gehen? In Frankfurt, das bis vor dem 2. Weltkrieg für seine vielen mittelalterlichen Fachwerkhäuser bekannt war, wurde erst im vergangenen Jahrzehnt nach altem Vorbild die Altstadt wiedererrichtet. Geschichtsträchtige Häuser, bloß die Geschichte fehlt. Verwandeln wir unsere Städte deshalb in museale Kulissen, weil uns selber nichts Besseres mehr einfällt? Was sagt es über uns und unseren Kunstsinn aus, wenn wir das Schöne immer nur im Gestrigen suchen? Ganze Dachlandschaften und Straßenzeilen zählen heute zu unserem sogenannten Kulturerbe, das die Erinnerung an unsere Vergangenheit wachhalten soll. Aber sind wir denn schon am Ende der Geschichte angelangt? Was soll unser Erbe an die Zukunft sein?

Das ambivalente Wesen der Kunst

Was schön ist, was Wert hat, was Kunst ist – das alles bleibt doch nicht ewig festgeschrieben. Es wäre vor noch siebzig Jahren wohl niemandem eingefallen, eine ehemalige Industrieanlage unter Denkmalschutz zu stellen. Es ist immer eine Frage der Werte, wofür wir uns einsetzen – und damit ist es wiederum Gegenstand gesellschaftlicher und politischer Aushandlungen. Debatten, wie sie der Entwurf der Fassade des Kaufhaus Tyrol ausgelöst hat, sind daher keineswegs vergebene Liebesmüh. Vielmehr sind sie ein genuines Merkmal einer politisch aktiven Gemeinschaft.

In den Schreckensregimen unserer Vergangenheit hat sich die Kunst allzu oft Zensur und Diffamierung gefallen lassen müssen. Was den Mächtigen nicht gefiel, wurde als „entartete“ oder „nonkonformistische“ Kunst gebrandmarkt, offene Debatten waren nicht geduldet.

Die Kunst ist jedoch nicht nur Gegenstand des Streits, sondern oft selbst auch eine Waffe im Kampf um die gesellschaftliche Vorherrschaft. Künstlerische Werke, seien es nun Bücher, Gedichte, Bilder oder Skulpturen, sind auch selbst voll von politischem Gehalt. Es offenbaren sich die gesellschaftlichen Grabenkämpfe, wenn heute feministische Künstler und Künstlerinnen die Patriarchen dieser Welt erzürnen, indem sie in ihren Werken Vulven zeigen. Man sehe sich Picassos „Guernica“ an, ein Monument politischer Kunst. Allerdings sind ebenso die Werke der kriegsbegeisterten Dichter im ersten Weltkrieg zu beachten. Indem die Kunst politisch wird, begibt sie sich immer auch in die Gefahr als bloßes Mittel zum Zweck missbraucht zu werden.

Ein Kunstobjekt kann also provozieren, Wege in die Zukunft zeigen oder Vergangenes hochleben lassen – nur unpolitisch sein, das kann es in den wenigsten Fällen. Eine Debatte über Kunst zu führen, ohne ihre gesellschaftspolitische Dimension zu beachten, mag manchmal vielleicht intellektuell erbaulich erscheinen, ist in Wirklichkeit meist aber völlig bedeutungslos – nicht mehr als müßiges Lustwandeln in Luftschlössern. Es ist äußerst schwierig, die Grenze zu ziehen, wo Politik beginnt und Kunst aufhört, ob es noch politische Kunst oder schon viel eher künstlerische Politik ist. Auch bei scheinbar rein ästhetischen Debatten über Kunst bleibt stets zu hinterfragen, vor welchen Hintergründen das Werk, der Künstler und die Betrachterin eigentlich stehen.

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