Kann denn Liebe Sünde sein?

von Marina Raidl
Lesezeit: 5 min
Eine berechtigte Frage der schwedischen Kriegs- und Nachkriegssängerin Zarah Leander. Gedanken von, mit und über die Liebe.

Alte Liebe rostet nicht – eiserne Pärchenschlösser dagegen schon. Schikaniert vom Innsbrucker Wind und Wetter und mit braunroten Schlieren bedeckt, reiht sich eines an das nächste auf der namensgebenden Innbrücke. Anderthalb Kilometer und zwei Jahreszeiten später finden sich bewegungswillige Yoga-Aficionados im Rapoldipark. Eine fremde Hand hält die andere an der Uniklinik. Es sind zunächst willkürliche Augenblicke und Momente, und doch zeichnen sie sich alle durch ein Merkmal aus: sie sind romantische Liebe, Selbstliebe, Liebe zum Nächsten. Das Bordell an der Südbahnstraße, die Wiltener Basilika, unsere Skisprungschanze. Freie Liebe. Gottesliebe. Liebe zum Sport.

Wer hier aufgewachsen ist, kennt das Gefühl einer zu kleinen Großstadt nur zu gut. Wenn man jede Ecke kennt. An jeder Ecke sein Herz gebrochen bekommen oder eines gebrochen hat. An jeder Ecke gebrochen hat, als die Bars noch offen waren. Wenn man daheim angeeckt ist und mit Erwartungen gebrochen hat, als man halbnüchtern um Punkt drei Uhr morgens vom Hafen mit dem Taxi heimgebracht wurde.

Daran erinnert er sich nur zu gut, das war vor vier Jahren. Weniger weit entfernt ist der vergangene Sommer: es ist drückend heiß, der Tag neigt sich dem Ende zu und er neigt sich zum Ende seines Tages zur Seite, um das Schlüsselloch zu treffen. Seinen fehlenden Gleichgewichtssinn hat er dem vorvorletzten Bier am Sonnendeck zuzuschreiben. Exakt 102 Tage später hält er wieder eine Flasche Zillertaler in der Hand, den einen Arm aus dem Bett gestreckt, die andere auf dem Bauch. Netflix fragt, ob er noch da ist.

Er trinkt die Flasche aus.

Was ihm fehlt, ist die platonische Liebe. Wo er sie früher bei Konzerten in der Olympiahalle ausgelebt hat, ist heute eine Corona-Teststation. Sie ist nur eine von Tirols 18 Screeningstraßen. Es fühlt sich an wie ein schlechter Witz und die Pointe ist er.

What is love?

Was ist Liebe? Eine Frage, die sich Electronic Dance-Musiker Haddaway schon 1993 in den Discos dieser Welt gestellt hat. Die Antwort ist himmelhochjauchzendes Freudestrahlen, unverschämtes Glück und ein berauschender Cocktail an Endorphinen und Dopamin. Die Antwort ist allerdings auch ein geschlossener Vorhang am helllichten Tag, zu Tode betrübtes vor-sich-hin-Vegetieren im halbdunklen Bett ohne Glücksmomente, ohne Perspektive, ohne Hoffnung. Die Antwort sind glucksende, jauchzende, preschende Kinder auf saftig grünen Wiesen; und die Antwort sind Eltern, die am Spielplatzrand mit 30 Prozent Übermüdung und 70 Prozent Stolz ihrem Nachwuchs hinterherblicken. Die Antwort ist ein Himbeersorbet; denn Liebe ist bittersüß – und ein bisschen klebrig. Liebe ist vegetarisches Chili mit guter Absicht und fadem Nachgeschmack. Liebe ist Schweinsgulasch, deftig und rau und schlecht fürs Herz. Die Antwort ist Die Antwoord, die Antwort sind die Beatles, die Antwort heißt mit bürgerlichem Namen Alexander Nestor Haddaway, macht Electronic Dance-Musik und wirft seit 1993 die Frage in den Raum: „What is love?“

Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Händchenhaltend passieren wir die Maria-Theresien-Straße; wir sind wir, zwei, ein Paar, ein Pärchen, zu zweit gemeinsam gegen die Kälte und was da draußen sonst noch so alles ist. Wir sind exklusiv. Unsere Weingläser treffen sich regelmäßig und wir tun es ihnen nach, kochen gemeinsam, schauen Filme, machen Liebe ohne Liebe. Wir sind zusammen, aber zusammen sind wir nicht.

Das Weinglas klirrt, wir trinken ex und Exen können wir nie sein, denn ist einmal der Zauber weg, hören wir im Herzen auf zu sein. Wir werfen uns gegenseitig schwärmerische Blicke zu und fangen sie mit einer fast kindlichen Neugier auf, zielen sie enthusiastisch zurück und treffen damit mitten ins Herz – und doch irgendwie nicht. Wir sind zu stolz – und voller Vorurteile. Wir sind gegenseitiger Adrenalinstoß, wir sind Anziehung und Charme; wir sind Gleichgültigkeit. Wir sind charmant und verspielt, aber wir spielen nur. Machen uns schöne Augen, aber ich bin kurzsichtig. Liebe macht blind, hab ich gehört. „Doch man sieht nur mit dem Herzen gut“, meint der Typ, der über den kleinen Prinzen geschrieben hat.

Warum kann es nicht einfach einfach sein?

Sicherheit ist das Mädchen von nebenan, sie setzt dich hin und ist bequem. Unsicherheit hingegen ist draufgängerisch, lächelt kokett und fordert dich per Fingerzeig zum Tanz auf – und ich bin leidenschaftliche Tänzerin. Wie Rumpelstilzchen tanze ich ungelenk um ein “Vielleicht” und verbrenne mich, während ich laut zeternd und zitternd und bettelnd nach einem Namen für uns suche. Benennen wollen wir es nicht, denn das macht die Dinge real und reale Dinge beunruhigen uns. Wir sind lieber ohne Titel; sind lieber namenlos, als die Dinge beim Namen zu nennen. Doch ich will jemanden, der mich will, nicht jemanden, der mich will und nicht und doch und schon und vielleicht auch nicht. Nur Verlangen ist zu viel verlangt.

„Fürchte dich nicht und küsse die Marketenderin! Das ist die ganze Wissenschaft, das ist der Bücher tiefster Sinn“, schreibt Heine. „Das Glück liegt nicht nur in den Ekstasen der Liebe, sondern auch in einer sehr tiefen geistigen Harmonie“, meint Dostojewski. „Glücklich allein ist die Seele, die liebt“, sagt Goethe. “No woman, no cry”, sagst du, kritzelst es mir auf die Hand und ich fasse mir an die Stirn und trage das Spiegelbild deiner Worte hinaus in die Kälte und was da draußen sonst noch so alles ist, aber allein. I’m falling for you, aber ich schlage mir dabei die Knie auf, immer und immer wieder.

„Nur nicht aus Liebe weinen“, singt Zarah Leander irgendwo weit entfernt im Jahr 1939.

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