Grundlos Glücklich, Grundlos Sein

von Jakob Häusle
Schlagwörter: Lesezeit: 4 min
Alle glücklichen Menschen sind einander ähnlich, jeder unglückliche Mensch ist unglücklich auf seine Weise.

Eine Stadt ist ein Körper. Jede Straße ein Gliedmaß, jede Gasse ein Blutgefäß, durch das die Bewohner rauschen, hinein in die Geschäfte, Bars und Cafés. Sie sind der Puls, durch den man die Vibrationen und Schwingungen der Stadt spürt. Alles bewegt sich, Menschen füllen und erfüllen die Stadt, die durch sie zum Leben erwacht.

Mitternachtsmette

Heute vor einem Jahr waren die Innsbrucker Lokale voll. Damals konnte man Glück noch kaufen und sein Name war Bier. Unsere Kathedralen hießen Irish, Jolly und Tribaun. Ich kann mich an die Abende erinnern, an ihren immer gleichen, beinahe rituellen Ablauf. Am Anfang war kein Wort, sondern ein langes Schweigen, ein Fest der Wortarmut. Was soll ich sagen, das nicht uninteressant, aber gleichzeitig nicht zu seltsam ist? Wie vermeide ich die „Was studierst du?“ und die „Was willst du später einmal machen?“ Fragen, ohne noch dümmere stellen zu müssen? Doch die Scheu vor den neuen Menschen schwindet schnell, Bier um Bier, Schnaps um Schnaps. Unbekannte Gesichter werden zu vertrauten Freunden und vertraute Freunde zu Freunden fürs Leben. Nicht das Bier war der Grund für die nächtlichen Glücksmomente, sondern die Menschen, mit denen man es teilte.

This is water

Heute bin ich rausgegangen, um draußen zu sein. Ich habe die Menschen auf der Maria-Theresien-Straße gesehen, ihre hässlichen, heiligen Alltagsfratzen, ihre dummen, leblosen Augen, die jeden Anflug einer freudigen Stimmung schwarzlochgleich ins Nichts befördern. An jedem in der Stadt bin ich vorbeigegangen, mit dieser anonymen städtischen Arroganz, die alle anderen zu szenefüllenden Statisten in der Tragikomödie meines Lebens werden lässt. In den kurzen Momenten zwischen Aufwachen und dem Wachsein fällt es wie Schuppen von den Augen, alles ist ganz klar, ich weiß, was mit mir passiert. Irgendwann beginnt der ewige Schlaf. Er kündigt sich nicht an, niemand sieht ihn kommen. Dann wacht man auf und ist nicht mehr wirklich da. Nur mehr Schablonen alter Träume, Routinen, die mehr coping-mechanisms als der Ausdruck einer freien Tagesgestaltung eines freien Menschen sind. Mich begleitet das ständig nagende Gefühl, etwas Unendliches gehabt und wieder verloren zu haben.

Gemeinschaft der Lesenden

Auf der Bank im Hofgarten ist es so kalt geworden, dass meine Jacke dem Schatten, den die großen Eichen werfen, nicht standhalten kann. Ich friere und zittere, doch ich kann jetzt nicht gehen. Nicht mitten im Absatz. Ich atme aus und ein, verliere meine Stelle auf der Seite, finde sie wieder und verliere sie erneut. Sonnenstrahlen haben einen Weg durch das Dickicht gefunden und tanzen auf meinem Gesicht. Sie blenden mich, ich mache die Augen zu, verliere mich, finde mich wieder und verliere mich erneut. Neben mir, eine Bank weiter, sitzt eine junge Frau, ebenfalls mit einem Buch. Manchmal spähe ich im Augenwinkel nach ihr, um zu schauen, ob sie immer noch liest, oder öfter auf-, als auf ihr Buch schaut. Ich fühle mich mit ihr verbunden, eine Gemeinschaft zweier Leser auf benachbarten Bänken. Ich frage mich, ob sie das auch denkt. Die Sonnenstrahlen sind wieder hinter den Blättern verschwunden, ich mache die Augen auf. Die junge Frau ist weitergegangen.

Because the Internet

Manchmal schaue ich self-help Videos auf YouTube. Da erklärt dann einer, wie man seinen Tag besser strukturiert, schlechte Gewohnheiten los wird und ganz generell einfach glücklicher in seinem Leben sein kann. Aufgrund meiner masochistischen Veranlagung lese ich immer die Kommentare und bei diesen Videos lohnt es sich tatsächlich. Keine Danksagungen an den Schöpfer der Lifestyle-Tipps, keine Kalendersprüche. Das Top-Comment liest sich immer gleich. Die Leute, die diese Videos schauen, sind gefangen in einem Zirkel. Sie können nicht damit aufhören, Videos zu schauen, die ihnen erklären, wie sie ihr Leben auf die Reihe bringen können. Sie schauen also Videos, die ihnen erklären, wie sie ihr Leben auf die Reihe bringen können, anstatt ihr Leben auf die Reihe zu bringen. Bei meiner diesbezüglichen Recherche war es fünf Uhr morgens und ich war vermutlich gerade in einem ähnlichen Zirkel gefangen und trotzdem musste ich laut loslachen. Wir machen uns so viele Gedanken und Sorgen über unser Streben nach Perfektion, opfern uns der Optimierung und scheitern, natürlich, an uns selbst.

Dopamin gibt es – wie Zigaretten – auf Knopfdruck. Verzweifelt betteln wir den Barkeeper um eine letzte Runde Serotonin, obwohl seit Monaten Zapfenstreich ist. Bei den wöchentlichen Zoom-Meetings hoffen wir auf Verbindungen, die nichts mit dem Internet zu tun haben. Doch auch mit Touchscreen kommt es zu keiner Berührung. Alle sind so ernst geworden, das letzte demaskierte Lächeln liegt über ein Jahr zurück. Das Leben spielt sich nicht mehr in der Stadt, den Bars oder der Uni ab, sondern nur mehr in einem Gefühl und seiner Unerreichbarkeit. Womöglich ist Glück nur ein Mythos, ein unerreichbares Ding, das unserem Handeln als Leitstern dient. Vielleicht ist es auch nur ein Moment, wie jeder andere, den wir nicht und nicht zu fassen bekommen.

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung von Glück und ich glaube niemandem, der behauptet, dass er etwas darüber wüsste. Ich weiß nur, wenn ich es nicht habe, so sehne ich es herbei; und wenn ich es bekomme, so fürchte ich nur, dass es mich wieder verlässt.

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