UNIpress: Wenn die Arbeitslosigkeit in den USA um ein Prozent steigt, sterben rund 40.000 Leute. Rund 130.000 Leute sind bisher in den USA an Corona gestorben – aber wahrscheinlich viermal so viele aufgrund der Folgen von Arbeitslosigkeit. Spricht das dafür, dass man auch in Krisenzeiten alles daran setzen sollte, den Status Quo der Wirtschaft zu erhalten und dafür auf Schutzmaßnahmen zu verzichten?
Jürgen Huber: Grundsätzlich gibt es diesen Zusammenhang zwischen höherer Arbeitslosigkeit und höheren Sterberaten auch in Österreich. Bei uns ist die Selbstmordrate unter Arbeitslosen rund fünfmal so hoch wie unter allen anderen Gruppen der Bevölkerung. Wenn wir nun 200.000 mehr Arbeitslose haben, ist bei uns zu befürchten, dass es sehr viele zusätzliche Suizid-Tote geben wird. Das ist ein riesiges Problem. Existenz- und Lebensängste, finanzielle Sorgen und soziale Vereinsamung durch die Corona-Maßnahmen haben enorme psychische Auswirkungen, die man erst mit der Zeit absehen kann. Das betrifft vor allem auch junge Leute wie euch: Man wird mit dem Studium fertig, möchte ins Berufsleben starten, findet keine Praktikumsstelle, sieht den Arbeitsmarkt leergefegt. Die Situation ist sicher nicht optimal. Die Lebenssituationen sehen ganz unterschiedlich aus: Manche werden von den Eltern unterstützt, hängen ein weiteres Studium hinten dran, fangen im elterlichen Betrieb an – andere haben bereits ein Kind, sind alleinerziehend. Das sind enorme Kosten, die uns nicht Corona aufgebürdet hat, sondern die Maßnahmen gegen Corona.
UP: Aber war es insgesamt sinnvoll, dass der Staat solch drastische Maßnahmen veranlasst hat?
Huber: Ich glaube ja. Das heißt nicht, dass jede einzelne Maßnahme und diese unglaublichen Mengen an Geld immer richtig eingesetzt sind. Doch haben wir bereits 1929 gesehen, was passiert, wenn der Staat einmal nicht eingreift: Es gab einen Börsencrash, eine große Wirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit lag in den Vereinigten Staaten, Deutschland und Österreich bei über 30% – und das für Jahre. Die politische Konsequenz war in Österreich Austrofaschismus, in Deutschland Diktatur. Daher ist es total gerechtfertigt, dass der Staat eingreift – es war richtig und wichtig, dass geholfen wurde und dass Geld direkt beim Bürger ankommt – und nicht nur bei den großen Unternehmen. Was ich aber vermisse und eingefordert hätte, wären zukunftsträchtige Investitionen.
UP: Während der Krise sind viele Firmen durch den Staat vor dem Bankrott bewahrt worden. Wie stehst du dazu, wenn gewisse Unternehmen, die auf lange Sicht lediglich die Taschen der Steuerzahlenden belasten, gerettet werden?
Huber: Man sollte zulassen, dass sogenannte „Zombieunternehmen“ bankrottgehen. Der österreichische Ökonom Schumpeter hat das Konzept der kreativen Zerstörung bereits vor 80 Jahren angesprochen: es entstehen immer wieder neue Ideen und damit neue Generationen von Unternehmern. Schauen wir uns die dynamischsten Sektoren an, die größten Unternehmen der USA, also Google, Facebook, Amazon & Co.: die sind alle relativ jung. In Europa haben wir hingegen sehr alte Unternehmen wie VW und BMW. Das heißt, wir lassen hier kaum Neues aufkommen und die Corona-Rettungspakete fördern diesen Stillstand. Bereits seit der Nullzinspolitik der Finanzkrise 2008 ist kaum noch diese kreative Zerstörung vorhanden und so retten und schleppen sich ständig ganz viele Unternehmen weiter, die eigentlich keinerlei Eigenkapital und kein funktionierendes Geschäftsmodell haben. So kann natürlich auch nichts Neues aufkommen – wo sind die europäischen Apples, Microsofts und Googles? Das ist sehr schlecht für Europas Wachstum und Dynamik, und damit natürlich auch für die Jobmöglichkeiten von jungen Leuten.
UP: Kannst du uns ein österreichisches Unternehmen nennen, das nur aufgrund staatlicher Unterstützung überlebt hat und so den Prozess der kreativen Zerstörung aufhält?
Huber: Ein Negativbeispiel sind die Austrian Airlines, die von der österreichischen Regierung vor Kurzem ein 600 Millionen schweres Rettungspaket geschnürt bekamen – warum bitte? Wenn das Geschäftsmodell der AUA funktioniert, dann kann es sich selbst am Leben erhalten, und wenn nicht, wird es ohnehin irgendwann zugesperrt. Das wieder künstlich zu retten, ist für mich eine völlig falsche Verwendung von Steuergeldern.

© Sofie Hofer
Radler: Weil Kaffee kalt werden kann.
UP: Nur fünf Länder auf der ganzen Welt sind schuldenfrei. Die Welt selbst ist mit rund 251 Billionen US-Dollar verschuldet. Wie funktioniert das – oder anders gefragt, wo ist das Geld?
Huber: Das Geld ist vor allem in den Bilanzen der großen Banken und Finanzinstitutionen. Wie leiht sich ein Staat Geld aus? – Der Kredit, den ein Staat aufnimmt, nennt sich Staatsanleihe und fast alle Staaten nehmen dauernd solche Kredite auf, weil sie Budgetdefizite haben. Die Unicredit ist beispielsweise der größte Gläubiger Italiens. Die haben etwa 300 Milliarden Euro italienische Staatsanleihen. Wenn Italien pleiteginge, ginge wohl auch die Unicredit pleite, das heißt, hier stützen sich gewissermaßen zwei torkelnde Boxer gegeneinander.
Zwei torkelnde Boxer fallen nicht um, aber sobald einer der beiden zu Boden geht, reißt er den anderen mit sich.
Vor allem Banken, Versicherungen und große Pensionsfonds kauften diese Staatsanleihen. Der am stärksten verschuldete Staat überhaupt ist Japan, er schuldet 250% seiner Wirtschaftsleistung. Das ist aber deshalb kein Problem, weil 96% seiner Schulden bei japanischen Firmen, Unternehmen, Pensionsfonds und der Zentralbank sind.
UP: Aber kann es, blöd gesagt, wirklich sein, dass das Geld weltweit nie „ausgeht“?
Huber: Es ist zunehmend so, dass auch die Banken und Versicherungen nicht mehr genug Geld haben, um den Bedarf der Staaten zu decken. Also lassen die Zentralbanken tatsächlich neues Geld drucken und finanzieren damit direkt den Staat. Eigentlich ist das verboten; das verstößt in Europa gegen die EZB-Statuten, gegen den Lissabon-Vertrag und gegen den Maastricht-Vertrag. Es wird aber trotzdem getan: das macht England, das macht Japan, das machen die USA. Dort ist das allerdings rechtlich gedeckt, in Europa hat der deutsche Bundesverfassungsgerichtshof gerade geurteilt, dass das nicht passieren darf. Da sind wir juristisch ein bisschen im Limbo. Doch im Endeffekt: Die Schulden des einen sind die Assets von irgendjemand anderem – in diesem Fall vor allem von Banken, Finanzinstitutionen und speziell auch Zentralbanken: Die Bilanzsummen der Zentralbanken haben sich während der letzten 15 Jahre verfünffacht. Auch die amerikanische Federal Reserve ist von 1,5 Billionen auf 7 Billionen aufgebläht worden. Das ist ein enormer Zuwachs – und der ist etwas beunruhigend. Am ehesten ist die Situation mit dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar. Damals haben sich die Staaten auch massiv verschuldet. Wenn wir irgendwann zu der Frage kommen, wer all das zurückzahlen soll, werden auch wir über die Themen Vermögens- und Erbschaftssteuern nachdenken müssen, denn nur so waren die Schulden des Zweiten Weltkriegs zurückzuzahlen. Damals gab es massive Einkommenssteuern bis zu 90%, Erbschaftssteuern bis zu 80%. In diese Höhen wollen wir nicht; aber grundsätzlich muss über so etwas nachgedacht werden.
UP: Während Corona hat die EU Rettungspakete in Höhe von hunderten Milliarden Euro verabschiedet. Waren diese ausreichend und vor allem, wurden sie für die richtigen Dinge eingesetzt?
Huber: Ich hätte mir gewünscht, dass diese ganzen Rettungspakete und Gelder viel „grüner“, in Richtung Nachhaltigkeit verwendet werden. Wir wissen, Corona-Krise ist jetzt – Klimakrise ist aber auch, und die ist die wesentlich größere. Warum? Corona war eine kurzfristige, akute, sehr sichtbare Krise, für die dann sehr kurzfristige Maßnahmen notwendig waren. Sie hat uns aber gezeigt, dass Regierungen fähig sind, schnell und entschieden zu agieren, und viel Geld in die Hand zu nehmen und dass auch Bürger dazu fähig und bereit waren, ihr Verhalten zu ändern. Die Anzahl der weltweiten Flüge ist um 70% gesunken, der Individualverkehr in Österreich um 60-80%, der weltweite CO2-Ausstoß um 70%. Das ist genau, was wir brauchen, nur können wir natürlich keinen ewigen Lockdown machen. Der Klimawandel ist also die viel größere Herausforderung und wir brauchen hierbei Maßnahmen, die wir langfristig, auf Jahre und Jahrzehnte durchhalten können.
Was uns Corona auch gezeigt hat, ist bedauerlicherweise ein völliges Versagen globaler Kooperation und globaler Führungsmacht.
Die USA waren keine konstruktive Führungsmacht, genauso wenig wie China oder die EU. Die EU mit ihren vier Grundfreiheiten war völlig abgemeldet, die Nationalstaaten, die ihre Maßnahmen für ihre Länder erstellt und sofort ihre Grenzen geschlossen haben; selbst Deutschland und Frankreich haben die Ausfuhr von Schutzkleidung in andere europäische Länder verboten, weil sie meinten, „die brauchen wir zuerst selbst“ – also genau das Gegenteil des europäischen Gedankens und damit ein Desaster. Europa und die Welt müssen sich weiterentwickeln, sonst sehe ich schwarz, dass wir den Klimawandel ausreichend schnell und entschieden bekämpfen können.
UP: Hast du konkrete Ideen, wie man dieser Negativentwicklung beikommen könnte?
Huber: Eine Maßnahme, die mir hier schon ein Weilchen vorschwebt, heißt Klimabonus. Das ist im Prinzip eine CO2-Steuer, deren Einnahmen ganz oder zum größten Teil auf die Bürger aufgeteilt werden. Zum Beispiel führen wir auf jedes Barrel Öl eine bestimmte Steuer ein, was zu sehr hohen Einnahmen führen würde, viele Milliarden – und diese vielen Milliarden werden gleichmäßig an alle Bürger ausgezahlt – als Klimabonus. Warum? Weil so eine Steuer natürlich zu Mehrkosten führt; wenn jedes Barrel Öl besteuert wird, steigen die Benzinkosten. Wenn diese Auszahlung als Klimabonus für jeden Österreicher, für jeden Bürger der EU gleich hoch ist, dann führt das zu einer Verringerung der Ungleichheit. Das ist fair, das brauchen wir auch, denn steigende Ungleichheit ist zusätzlich eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft. Außerdem heißt es: Steuern zahlen vor allem jene, die weiterhin fossile Energieträger verbrauchen – sagen wir beispielsweise Fahrer von Benzinautos – Leute, die das nicht tun, also Fahrer von Elektroautos oder nur noch Fahrrad oder Elektrofahrrad bekommen das Geld aus der Dividende, zahlen aber praktisch keine CO2-Steuer.
UP: Wie genau sollte dieser Klimabonus dann funktionieren?
Huber: Momentan ist der perfekte Zeitpunkt, um ihn einzuführen: Wegen des Wirtschaftseinbruchs durch Corona sank der weltweite Ölpreis von etwa 70 Dollar auf etwa 30 Dollar pro Barrel. Ein Barrel Öl sind 159 Liter. Wenn man jetzt eine CO2-Steuer von 20 Euro pro Barrel einführen würde, wäre der Ölpreis statt 30 wieder bei etwa 50 Euro und damit immer noch niedriger als vor fünf Monaten. Das würde dazu führen, dass Diesel oder Benzin an der Zapfsäule um 15 Cent mehr kosten. Wie viel Geld bringt das? Nehmen wir 20 Euro, die weltweite Ölförderung beträgt jeden Tag schockierende 100 Millionen Barrel, Fässer. Das sind 30 Milliarden Liter Öl jeden Tag. Mich erschüttert das jedes Mal wieder. 100 Millionen Barrel mal 20 Euro sind zwei Milliarden Euro pro Tag – sind 700 Milliarden pro Jahr. Das ist richtig viel Geld. Mit 700 Milliarden kann man viel bewegen. Das ist aber weltweit; der europäische Anteil wären etwa 20 Prozent davon, also 150 Milliarden.
Wie viel Geld ist das? Das ist genau das EU-Budget.
Das jährliche Budget der gesamten EU beträgt derzeit 155 Milliarden. Jetzt hätten wir noch einmal 150 Milliarden, also doppelt so viel. Das heißt also, die EU könnte doppelt so viel tun wie bisher. Es kommt also enorm viel Geld zustande! Ich würde dann die Hälfte dieses Geldes zwecks Klimabonus an die Bürger verteilen, und die andere Hälfte in erneuerbare Energien und den Aufbau von Stromnetzen und Ladestationen, Photovoltaik & Co. investieren. Photovoltaikanlagen sollten primär dort gebaut werden, wo es sonnig ist – also in Spanien, Italien, Griechenland – und das sind die Länder, in denen momentan die Investitionen und Gelder am dringendsten gebraucht werden; es wäre also ein geeignetes Konjunkturprogramm. Das Geld käme natürlich jedes Jahr wieder, bis sich die Welt endlich von fossilen Energieträgern lossagt. Das heißt, die Einnahmen aus der CO2-Steuer schrumpfen natürlich in dem Ausmaß, in dem wir weniger fossile Energieträger brauchen, aber das ist ja völlig in Ordnung, weil es momentan so ist, dass Österreich alleine 10 Milliarden Euro für den Import fossiler Energieträger ausgibt. Wenn es uns gelingt, völlig auf E-Mobilität und erneuerbare Energien umzusteigen, dann sparen wir uns diese 10 Milliarden Euro. Und das könnten wir dann Reinvestieren: In die Zukunft, in die Jugend, in die Forschung.

© Sofie Hofer
Jürgen Huber erklärt das Konzept des Klimabonus.
UP: Das hört sich fantastisch an, aber wie realistisch ist es, dass das umgesetzt wird?
Huber: Es liegt immer an den Akteuren. Wenn die richtigen Akteure am Ruder sind, ist es extrem realistisch. Und deshalb bitte auch mein Aufruf an alle: Gehen Sie immer wählen, damit die richtigen Menschen gewählt werden. Was meine ich mit richtigen Menschen? Sie waren noch kaum geboren, als im November 2000 George W. Bush gewählt wurde, sein Gegenkandidat war der Demokrat Al Gore. Macht das einen Unterschied, wer diese Wahl gewonnen hat? Naja, George W. Bush ist aus Texas und war in der Ölindustrie tätig. Er hat Naturschutzgebiete in Alaska für Ölbohrungen freigegeben, er hat Umwelt-Regulierungen abgebaut und zwei Kriege angefangen, unter anderem im Irak. Wäre Al Gore anders gewesen? Al Gore ist Umweltaktivist, seine Dokumentation „An Inconvenient Truth“ – bitte auch unbedingt anschauen – hat einen Oscar gewonnen, er hat den Friedensnobelpreis für seinen Umweltaktivismus gewonnen. Selbstverständlich wäre er ein ganz anderer Präsident gewesen. Unter seinem Einfluss hätten die USA in Fragen, die den Klimaschutz betreffen, nicht gezögert, sondern geführt. Dasselbe gilt für 2016: Hillary Clinton ist keine Heilige, aber sie hätte ganz anders agiert als Trump. Sie hätte die USA sicher nicht aus der WHO oder dem Pariser Klimaschutzabkommen herausgeführt. Und ebenso: Ich bin grundsätzlich ein Fan von Angela Merkel, aber das, was sie jetzt mit dem deutschen Wirtschaftspaket gemacht hat, ist konservativ, fad und ideenlos. Sie hätte stattdessen einen Klimabonus umsetzen können. Es liegt also an den agierenden Politikern. Wären es „die Richtigen“, also ein paar, die so denken wie vielleicht ihr und ich, so könnte sich schnell viel bewegen. Ich finde den Klimabonus völlig überzeugend. Es macht Sinn, sogar dann, wenn es nur die EU macht.
Das Vorhaben wäre dann realistisch, wenn die richtigen Akteure am Ruder sind, sagen wir’s, wie es ist.
UP: Ob der Klimabonus – wenn auch nur in der EU – durchgesetzt werden kann, ist fraglich, wenn man bedenkt, wie zahnlos die Maßnahmen der EU gegen den Klimawandel bisher waren. Das European Climate Law (ECL) wurde dieses Jahr präsentiert, es sieht keine Sanktionen für Verstöße vor. Da wird in Wahrheit nichts passieren, oder?
Huber: Genau das ist das Problem, alles in der EU ist immer ein Kompromiss zwischen 27 Ländern. Jeder hat irgendwelche Sonderinteressen und daher kommt nur selten wirklich „Sinnvolles“, nichts mit Biss heraus. Da ist grundsätzlich – und nur dafür! – ein autokratisches System wie in China effektiver. Das heißt, wenn China sagt: Ab jetzt wird kein Dieselauto mehr zugelassen in Peking, dann ist das so und wird auch durchgesetzt. Tatsächlich investiert China mehr in erneuerbare Energien, als der gesamte Rest der Welt zusammen – sie stellen mehr Windräder auf, mehr Photovoltaik etc. Aber: Sie bauen auch mehr neue Kohlekraftwerke, als der gesamte Rest der Welt zusammen. Das heißt: Sie sagen einfach – insgesamt brauchen wir so und soviel mehr Energie, dann wird gebaut, gebaut, gebaut.
Bevor es nicht ein wirkliches Umdenken von den entscheidenden Regierungen dieser Welt gibt, wird sich nichts ändern. Letztlich sind das China, die USA und die EU. Wenn die drei an einem Strang ziehen, dann geht’s in die richtige Richtung, dann müssen noch ein paar weitere wichtige Player, sagen wir Indien und Brasilien, auch in diese Richtung gehen. Ansonsten verschenken wir Jahre – Jahre, die wir nicht haben. Denn die Gefahren des Klimawandels sind klar, mindestens seit dem „Club of Rome“ Bericht von 1974; aber seitdem haben sich die Emissionen verdoppelt und nicht reduziert.
UP: Im ECL steht geschrieben, dass es die EU geschafft hat, die Emissionen seit 1990 um 60% zu reduzieren. Das ist also gelogen?
Huber: Nein, es ist raffiniert formuliert, sodass man die Wahrheit nicht leicht erkennt. Ihr habt sicher über die „Carbon Intensity of GDP“ geredet. Das heißt Kohleverbrauch/BIP (Wirtschaftsleistung). Jetzt ist die Wirtschaftsleistung natürlich gestiegen, größtenteils rein durch Inflation. Tatsächlich sind die Emissionen in der EU heute um ca. zehn Prozent niedriger als noch 1990, und die Wirtschaftsleistung um 50 Prozent höher – und so kommen Sie auf minus 60 Prozent.
UP: Amazon ist aus der Corona-Krise als großer Gewinner hervorgegangen. Der stationäre Handel ist der große Verlierer, auch in Österreich. Was können wir tun, um diesem Trend entgegenzuwirken?
Huber: Es lässt sich durchaus was machen. Egal, ob Amazon, Facebook, Google oder Microsoft – alle nutzen Steueroptimierungsinstrumente. Zum Beispiel hat Apple eine irische Muttergesellschaft, an die alle Markenrechte übertragen werden. Unabhängig davon, wo auf der Welt ein iPhone verkauft wird, fließen die Einnahmen nach Irland. Dort wird aber nur besteuert, was in Irland umgesetzt wurde. Dieses Geld wird an mehrere Tochtergesellschaften in den Niederlanden und auf den Bahamas weitergeleitet: So entsteht ein komplexes, schwer nachvollziehbares Double-Irish-and-Dutch Sandwich. Dieses Konstrukt nutzen alle Internetriesen und noch hunderte weitere Gesellschaften. Das ist legal und führt dazu, dass sie unter 1% Steuern auf ihre Gewinne zahlen. Das ist ein Riesenproblem – denn wie soll eine Tyrolia oder Wagner’sche Buchhandlung, die hier verschiedenste Steuern abgeben muss, mit einem Online-Konzern mithalten?
Dafür braucht es eine Digitalsteuer auf Online-Umsätze, was wiederum eine Einnahmequelle für die EU wäre, die man dann in Forschung, Entwicklung oder erneuerbare Technologien investieren könnte. Es liegt an der EU, Steueroasen wie in Irland innerhalb ihres Hoheitsgebiets zu unterbinden. Es ist Aufgabe unserer europäischen Politiker, das zu ändern und Konsequenzen zu ziehen. Hier läge es auch an Österreich, einen gewissen Druck auf seine EU-Partner auszuüben.
UP: Vielen Dank für das Gespräch.