Der Hashtag #prettyprivilege ist mit 361 Millionen Views zurzeit sehr beliebt auf TikTok. Einige Influencerinnen zeigen dort, wie ihnen Drinks ausgegeben und Reisen bezahlt werden, weil sie „schön” sind. Andere berichten von ihrem sogenannten „Glow-up“, also einer Transformation von „hässlich“ zu „schön“. Die Creatorin Mina erzählt, was Nasen-Op, Aknebehandlung und Gewichtsverlust in ihrem Leben verändert haben: „Vorher habe ich meine Hässlichkeit kompensiert, indem ich super sozial, kontaktfreudig, laut und einfach nur nervig war. Je schöner ich wurde, desto weniger ängstlich wurde ich, mehr Leute kamen auf mich zu und wollten mit mir reden. Ich habe sogar einen Job als Moderatorin bekommen.“
Der Begriff „Pretty Privilege“ wurde vor etwa einem halben Jahr auf TikTok groß, die Forschung kennt das Phänomen aber schon seit den Siebzigerjahren. Für eine Studie aus dem Jahr 1972 an der Universität Minnesota bekamen Studierende Fotos von Gleichaltrigen zu sehen. Bei den als attraktiv eingeschätzten Personen glaubten die Studierenden eher, dass diese einmal einen angesehenen Beruf ergreifen und glücklicher in ihrem beruflichen und sozialen Leben sein würden. Die als weniger attraktiv eingeschätzten Personen wurden als weniger sozial erwünscht wahrgenommen. Die Studierenden sahen bei ihnen eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass sie einmal heiraten, glückliche Ehen führen und „kompetente Ehegatten“ sein würden.
Wie ein Heiligenschein
Die Ergebnisse lassen sich anhand des Halo-Effekts erklären: Sehen wir bei jemandem eine bestimmte Eigenschaft, so strahlt diese wie bei einem Heiligenschein auf dessen ganze Persönlichkeit. Woraufhin wir automatisch auf weitere Eigenschaften schließen. Befinden wir also eine Person als schön, gehen wir eher davon aus, dass sie vertrauenswürdig, erfolgreich und glücklich ist. Wir nehmen sie als positiv wahr und gewähren unbewusst oder bewusst Vorteile – das Pretty Privilege.
Das erscheint so ungerecht, dass Forscher sich lange nicht an die Untersuchung des Phänomens wagten. So sagte einst der Psychologe Elliot Aronson:„Es könnte sein, dass wir es überhaupt nicht mögen würden, Beweise dafür zu finden, dass schöne Frauen mehr gemocht werden als unansehnliche – das erscheint uns irgendwie undemokratisch. In einerDemokratie möchten wir gerne glauben, dass eine Person mit harter Arbeit und einer guten Portion Motivation fast alles erreichen kann.“
Schöne Menschen haben es leicht
Inzwischen wurden allerdings viele Studien zum Pretty Privilege durchgeführt. Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2000 zeigt zum Beispiel, dass Kinder, die als attraktiver eingestuft werden, beliebter sind, bei Intelligenztests besser abschneiden und bessere Noten in der Schule bekommen. Im Erwachsenenalter korreliert ein höheres Maß an Attraktivität mit größerem Erfolg am Arbeitsplatz sowie bei der Partnersuche, mehr sexueller Erfahrung, besserer körperlicher und geistiger Gesundheit, höherem Selbstvertrauen, einer positiveren Selbstwahrnehmung und besseren sozialen Fähigkeiten.
Auch gibt es Belege, dass Angeklagte vor Gericht häufiger verurteilt werden und längere Strafen bekommen, wenn sie weniger schön sind. Und bei politischen Wahlen haben es schöne Kandidaten ebenfalls leichter: Sie bekommen mehr Stimmen und Skandale werden ihnen eher vergeben.
Man könnte also meinen, schöne Menschen hätten es im Leben immer leichter. Doch das stimmt nicht ganz. In manchen Fällen wird Schönheit mit negativen Eigenschaften verknüpft. So fand die Studie aus Minnesota, dass die Versuchspersonen den schönen Menschen geringere Fähigkeiten als Eltern zusprechen. In der Meta-Analyse „What is beautiful is good, but…” von 1991 fanden die Autoren, dass schöne Menschen eher als eitel und weniger bescheiden eingeschätzt werden. Auch kommen sie zum Schluss, dass Pretty Privilege insgesamt nur einen moderaten Effekt hat. Es würden irreführend oft Studien zitiert, die unrichtig eindeutige Ergebnisse vorweisen.
Verschiedene Arten der Diskriminierung
Bei der Thematisierung von Privilegien und Ungerechtigkeit sollte man außerdem nicht die Intersektionalität außer Acht lassen. Heißt: die Überlappung von verschieden Arten der Diskriminierung, sodass sich für jede Einzelperson eine einzigartige Lebenswirklichkeit ergibt. Eine lesbische weiße Frau aus Tirol wird Ungerechtigkeit in Österreich anders wahrnehmen als ein schwuler Mann mit türkischen Wurzeln, obwohl beide homosexuell sind. Wie wir eine Person wahrnehmen und aufgrund dessen behandeln, hängt also nicht nur von ihrer Attraktivität ab. Biologisches und soziales Geschlecht, Hautfarbe, soziale Klasse und weitere Kontexte spielen ebenfalls eine Rolle.
Dieses Phänomen untersuchte Kelsey Yonce im Rahmen ihrer Masterarbeit und kam zum Schluss, dass die verschiedensten Aspekte unsere Wahrnehmung von Schönheit beeinflussen. So werden Menschen, die alt sind, eine Behinderung haben oder einen niedrigen sozialen Status, als weniger attraktiv bewertet. Im Bezug auf das Geschlecht scheint die äußere Erscheinung bei Frauen eine größere Rolle zu spielen als bei Männern. Bei Facebook-Profilen von Frauen schauen Menschen länger auf deren Bilder, bei Männern länger auf derenLikes und Interessen. Das setzt sie wiederum unter Druck: Frauen vergleichen sich eher mit Personen, die attraktiver sind als sie selbst, und sind tendenziell kritischer mit ihrer eigenen Erscheinung.
Die dunkle Seite der Schönheit
In ihrer Publikation „The dark side of being pretty” untersuchen Forscher Stephen Marson und Joanne Hessmiller Erfahrungsberichte von Frauen, die früher an Schönheitswettbewerben teilgenommen hatten, mittlerweile aber studiert hatten und im Berufsleben angekommen waren. Sie berichten von dem Gefühl, in ihrem professionellen Umfeld nicht ernst genommen zu werden, von anderen Frauen abgelehnt zu werden, und dem Vorurteil, sie hätten ihre Erfolge nur ihrem Aussehen zu verdanken.
Außerdem wäre es denkbar, dass attraktive Frauen häufiger Catcalling ausgesetzt sind. Eine Studie von 2021 nennt als die am häufigsten angegebene Motivation von Männern für Catcalling den Ausdruck von sexuellem Interesse – und dieses ist bei attraktiven Frauen erwartungsgemäß höher.
Attraktive Menschen profitieren von Pretty Privilege, doch vor allem Frauen haben in manchen Kontexten auch mit einer „Beauty-Penalty“ zu kämpfen. So oder so führt die Wahrnehmung von Attraktivität zu Ungleichbehandlung – und das ist ungerecht. Aber können wir uns überhaupt anders verhalten? Ist die positive Haltung gegenüber Schönheit nicht in uns einprogrammiert? Zum Teil ja. Studien zeigen, dass Babys bevorzugt Gesichter anschauen, die von Erwachsenen als schön bezeichnet werden. Ebenso gibt es Hinweise, dass sich Menschen über Kulturen, Altersstufen und Geschlechter hinweg einigermaßen einig über die Beurteilung von Schönheit sind. Aus evolutiver Perspektive ergibt das durchaus Sinn: Schönheit steht im Zusammenhang mit unserem Alter, unserer Gesundheit und unserem Gesichtsausdruck. Wenn wir nicht mehr Informationen zur Verfügung haben, ist sie der beste Indikator dafür, ob wir Freund oder Feind vor uns haben.
Lookism als Beauty-Penalty
Sehen wir eine Person zum ersten Mal, können wir uns diesem Eindruck nicht entziehen. Wir haben es aber in der Hand, wie viel Bedeutung wir ihm beimessen. So können wir das Pretty Privilege bestimmt nicht abschaffen, aber zumindest abschwächen. Eine Studie aus dem Jahr 2011 fand, dass die Objektifizierung von Frauen aufgrund ihrer Schönheit abnimmt, wenn Beweise für ihre Kompetenzen präsentiert werden. Ähnlich dazu spielt bei Wahlen das Aussehen eines Kandidaten nur eine Rolle, wenn die Wähler kaum über diesen informiert sind.
Um dieses Mittel gegen das Pretty Privilege populärer zu machen, müsste erst einmal der Begriff selbst bekannter werden. Und zwar nicht rein positiv konnotiert wie auf TikTok, sondern kritisch beäugt und diskutiert. Dazu gehören auch mehr Studien – vor allem zur Intersektionalität der Thematik. Außerdem dürfen wir die Beauty-Penalty nicht außer Acht lassen. Es wäre deswegen sinnvoll, einen allgemeinen Begriff für die Ungerechtigkeit auf Grund des Aussehens einer Person zu verwenden. Zum Beispiel: Lookism (in Anlehnung an andere Diskriminierungsformen wie Racism, Sexism oder Ableism).
Neuere Studien weisen zudem darauf hin, dass unsere Kriterien für Attraktivität wie Symmetrie und Jugendlichkeit doch nicht so fix sind, wie gedacht: Setzt man Versuchsteilnehmer wiederholt verzerrtenGerichten aus, so werden diese als attraktiver wahrgenommen. Auch historisch haben sich Schönheitsbilder gewandelt, und so liegt der Gedanke nahe, dass wir das als schön empfinden, was wir am häufigsten sehen. Wenn wir also viel Zeit damit verbringen, die operierten Nasen auf Instagram und die mit Filtern überlagerten Gesichter auf TikTok zu betrachten, ändert sich schon jetzt unser Bild von Schönheit erneut. Und somit auch, wer von Pretty Privilege profitiert.
1 Kommentar
Super Artikel !
Ich kenne das Thema und habe schon beide Seiten von positiv und negativ erfahren dürfen.
Ersteres: gratis Getränk beim Feiern, mal ein Rabatt im Fahrradgeschäft vom jungen Verkäufer etc.
Zweiteres jedoch leider auch. So habe ich im
Sommerjob und einem
4 Sterne Hotel die Business Leute bedienen „dürfen“/ (eher müssen), weil mein Chef meinte, ich würde ein schöneres Lächeln als die anderen haben und als blondes Mädchen mehr Trinkgeld bekommen. Damit nicht genug habe ich dann eine große Bestellung aufgenommen und alles richtig den Business Leuten serviert. Die Aussage daraufhin: „hätt ich dir gar nicht zugetraut. Bist ja mehr als nur hübsch“. Danke für nichts. Hübsch & Klischee blond also gleich dumm?
Ich glaube gesamt gleichen sich Vor- und Nachteile aus, glaubt ihr nicht?
So ist es aber doch auch bei anderen „Unterschieden “. Z.b haben Frauen manchmal einen Vorteil (werden öfter eingeladen), jedoch manchmal auch Männer (zahlen beim Frisör trotz gleicher Haarlänge weniger); dasselbe beim Alter, Aussehen, Herkunft, Sprache…
Ich glaube man kann gar nicht jeden Vorteil und Nachteil analysieren, denn es gibt zu viele. Am Ende sollten wir einfach mit uns selbst zufrieden sein & uns unserer individuellen Vorteile und Nachteile bewusst sein.
Liebe Grüße und toller Artikel,
Julia Prantl ?