Ode an den (schlechten) Weihnachtsfilm

von Katharina Isser
Lesezeit: 5 min
Wenn sich Prinzen in Undercover-Journalistinnen und Business-Frauen in Kleinstadt-Förster verlieben, dann ist endlich Weihnachten – und die Welt für eineinhalb Stunden heil.

Die Baumwipfel beugen sich im eiskalten Dezember-Wind. Im vom Schneeregen nassen Asphalt spiegelt sich das Licht der Laternen, die bereits seit Stunden an sind, obwohl es erst 19:30 Uhr ist. Mein Kopf ist abwechselnd damit beschäftigt, die schrecklichen Geschehnisse auf der Welt und die bald anstehende Prüfung zu verdrängen, und trotzdem habe ich den Laptop mit den Lernunterlagen auf dem Schoß, während ich die Fernsehnachrichten schaue. Nachdem sich Tobias Pötzelsberger von mir verabschiedet hat, zappe ich durch die Kanäle und lande im Privatfernsehen. Dort werde ich von einem schlecht synchronisierten Spielfilm, in dem Frauen mit blonden Strähnchen Rollkragen tragen und Kakao trinken, tröstlich in den Arm genommen.

Happy Ends für Prinzen wie für Rentierfarmer

Finanziell angeschlagene Autorin trifft mürrischen schottischen Schlossbesitzer. Obwohl das Land auf den Britischen Inseln im realen Leben eher für graue Weihnachten bekannt ist, schneit es den ganzen Film über dicke weiße Flocken. Dem kalten Wetter zum Trotz bringt die Protagonistin am Ende das Herz des Griesgrams zum Schmelzen.

Erfolglose Journalistin auf der Suche nach einer guten Story geht Undercover, um herauszufinden, ob der mysteriöse Prinz des Zwergstaates wirklich so ein Playboy ist, wie es ihm die Medien nachsagen. Der Name des Königreichs endet auf -ia, es befindet sich irgendwo auf dem europäischen Festland, vielleicht in den Alpen. Gesprochen wird dort aber perfektes britisches Englisch. Die Krönung des Prinzen zum Monarchen muss am alljährlichen Weihnachtsball stattfinden, sonst ist sie nicht rechtsgültig. (Wer hat das bitte in die Verfassung geschrieben?)

Unentspannte Business-Frau auf dem Weg zum nächsten Meeting strandet wegen Schneesturm in einer Kleinstadt in Montana. Sie nutzt nach anfänglichem Missmut ihre Geschäftsfähigkeiten, um die kultige lokale Musikschule-Slash-Rentierfarm-Slash-Gästepension vor dem finanziellen Ruin zu bewahren. Dabei verliebt sie sich natürlich in den Musiklehrer-Slash-Rentierfarmer-Slash-Hotelbesitzer, der sie vor sich selbst und ihrem Ehrgeiz rettet und sie überzeugt, die Großstadt endgültig hinter sich zu lassen.

Die Wege zum Ziel sind unterschiedlich, doch unabhängig vom Muster gehen die Filme alle gleich aus – ein erster Kuss, ein Heiratsantrag unterm Mistelzweig. Eine Schneeballschlacht, mitunter eine Krönung, jedenfalls ein Happy End.

Foto: Ian Schneider / Unsplash

Florierende Feiertags-Filmindustrie

Die Weihnachtsfilmindustrie boomt. Die Filme sind hochbeliebt, vergleichsweise kurz und billig zu produzieren. Deswegen spuckt der US-amerikanische Sender Hallmark jedes Jahr Dutzende davon aus. Das Programm des Kanals setzt sich momentan lückenlos aus solchen Holiday Movies zusammen. Zu jeder geraden Stunde läuft ein neuer Film an. Um 2 findet die Historikerin Jessica beim gemeinsamen Dekorieren eines Schaufensters mit Innenarchitekt Nick ihr Weihnachtsglück. Um 4 reist die Künstlerin Heidi nach Heidelberg (kein Witz) und verliebt sich am Christkindlmarkt in einen deutschen Standbetreiber. Um 6 muss Prinz Leopold aus Cordinia für Emily aus Philadelphia fast auf seinen Thron verzichten.

Auch Netflix ist auf den Zug aufgesprungen und greift für seine Feiertagsproduktionen auf populäre Schauspielerinnen aus den Kindheitstagen des Publikums zurück: In Falling for Christmas spielt Lindsay Lohan eine verwöhnte Erbin, die besser im Selfies-Machen als im Schifahren ist. Und Vanessa Hudgens, bekannt aus High School Musical, hat in dem Weihnachtsfilm Prinzessinnentausch (Originaltitel: The Princess Switch) sogar einen doppelten Auftritt – einmal als Konditorin und einmal als zukünftige Prinzessin.

Einschalten zum Abschalten

Wer den Nervenkitzel sucht, wird hier nicht fündig werden. Wer sich allerdings nach einem Stück Idylle und heiler Welt sehnt, für den sind Filme wie Das Weihnachtskarussell, A Christmas Prince oder A Castle for Christmas genau das Richtige. Sie laden ein, eineinhalb Stunden einfach mal den Kopf auszuschalten. Man braucht ihn ohnehin nicht, um der Handlung zu folgen.

Die Filme sind familienfreundlich, beinhalten keine Gewalt und keine Sex-Szenen. Zwischenmenschliche Konflikte – die es sehr wohl gibt, wenn auch nur um auf die 90 Minuten zu kommen – gehen gut aus, konsequenzenlos, mit wechselseitigem Verständnis, ohne Groll. Eventuelle hinderliche Ex-Freunde, die kurz auftauchen, um die Handlung aufzumischen, ziehen bald freiwillig wieder ab. Missverständnisse gibt es nur, weil sich die Hauptcharaktere nicht trauen, einander zu gestehen, dass sie sich lieben.

Foto: From Marwool / Unsplash

Frei von Schicksalsschlägen sind die Leben der Charaktere zwar nicht: Fast jedem fehlt, in klassischer Märchen-Manier, mindestens ein Elternteil. Aber fast immer gibt es auch einen Full-Circle-Moment, in dem die Protagonistin ihrem verstorbenen Vater zu Weihnachten wieder ganz besonders nah sein kann. Im Hallmark-Universum ist sogar die Trauer irgendwie vollendet.

Die Ambivalenz realer menschlicher Empfindungen und Beziehungen gibt es dort nicht. Dafür ist das dichte Netz der Gemeinschaft rissfest: Die gesamte Kleinstadt schließt ihre neue Bewohnerin ins Herz, nach dem Liebesgeständnis am Flughafen klatschen alle Schaulustigen, das Volk freut sich über seine neue Königin. Neben der Liebe triumphiert immer der, zugegebenermaßen etwas diffuse, „Zauber von Weihnachten“.

Natürlich sind die Filme oberflächlich, stereotypisch und nicht besonders anspruchsvoll. Aber sie erfüllen einen wichtigen Zweck: Sie bieten den ultimativen Eskapismus, hüllen sich wie eine kuschlige Wolldecke um den Zuschauer und isolieren ihn von der Kälte der Welt. Das ist im momentanen Klima bitter notwendig.

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