Das Konzept vom „Untergang der Welt“ fasziniert und beunruhigt die Menschheit seit jeher und findet in vielen Kulturen und Religionen eine Vielzahl von Interpretationen, die den Abschluss eines Zyklus oder eine transformative Phase widerspiegeln. Eins wird aber in allen Ansichten über das Ende deutlich: die Grenzenlosigkeit der menschlichen Vorstellungskraft und die nie endende Suche nach Sinn in Zeiten des Wandels.
2012 – Das Beinahe-Ende
Vor rund 12 Jahren ließ die Prophezeiung der Maya vom Ende der Welt am 21.12.2012 die Menschheit zittern. Apokalyptische Vorstellungen sorgten für Unwohlsein und spalteten die Geister: Die einen rührten fleißig Zement für den Bau des eigenen Bunkers im Garten um, die anderen tanzten im Club zum damaligen Banger von Mike Candis „2012 (If the world would end)“. Ob verkatert, erleichtert oder beides – am 22.12.2012 nahm das Leben für die meisten seinen gewohnten Gang.
An dem besagten Tag X endete lediglich ein Zyklus im Kalender der Maya, das 13. Baktun, dessen Ende eine neue Epoche markiert, vergleichbar mit der Jahrtausendwende im gregorianischen Kalender. Die Schöpfung ist nach Auffassung der Maya ein bis heute andauernder Prozess aus kontinuierlichen Phasen der Zerstörung und Neuanfängen – von Weltuntergang war eigentlich nie die Rede. Der mexikanische Tourismus hingegen schlug aus dem Irrglauben einen gewaltigen Gewinn heraus: Mit rund 52 Millionen Besucher:innen von Tempelanlagen des Landes boomte der Tourismus wie in keinem anderen Jahr.
Endzeit und Erlösung
Die Bibel findet respekteinflößende Worte zum Ende der Welt. Sie nennt dabei keinen genauen Zeitpunkt, beschreibt aber, woran man es erkennen wird. Bei Lukas 21, 25 heißt es:„Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, das Meer tobt und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden“. Auch bei 2. Petrus 3, 10 wird auf das Ende der Welt verwiesen:„Dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden nicht mehr zu finden sein.“
Der Tag des Herrn ist der Höhepunkt der Serie von Ereignissen, in der Gott in die menschliche Geschichte eingreift. Im christlichen Glauben fällt hier das Urteil Gottes: Alles, was er erschaffen hat, wird zerstört, um einen neuen Himmel und eine neue Erde zu errichten. In der christlichen Tradition wird das Ende der Welt also in Verbindung mit der Wiederkunft Christi und dem Jüngsten Gericht gesehen, das Ungläubige bestraft und Gläubige belohnt, die dann im besten Fall in das ewige Leben übergehen.
Ein ähnliches Konzept über das Ende der Welt findet man auch im Islam. Im muslimischen Glauben wird das Ende mit einer Auferstehung der Toten, im Koran auch bezeichnet als „Leerung der Gräber“, und der Ankunft des Jüngsten Gerichts assoziiert, das die Menschen in die ewige Seligkeit oder Verdammnis entlässt. Im Islam wird das Ende der Welt als „Qiyamah“ bezeichnet, was aber so viel heißt wie: „Der Tag der Auferstehung“.
Gemäß jüdischer Vorstellung wird die Endzeit mit der Ankunft des Messias eingeläutet und kann nur durch das Streben der Menschen nach Frieden und Gerechtigkeit herbeigeführt werden. Im Judentum gibt es keinen Glauben an eine Selbstzerstörung der Welt oder an einen globalen Untergang, sei es durch Katastrophen, Atomkriege oder Terrorismus. Im Gegenteil: Krieg, Not und Hunger werden enden, und eine Ära des weltweiten Friedens und Wohlstands wird anbrechen.
Im Hinduismus wird das Ende der Welt als „Kali Yuga“ bezeichnet. An diesem Tag bricht ein Zeitalter der Dunkelheit an, geprägt von moralischem Verfall und spiritueller Unwissenheit. Es wird geglaubt, dass am Ende des Kali Yuga eine neue Ära beginnt, gezeichnet von spiritueller Erleuchtung und Reinheit.
Die nordische Mythologie beschreibt das Ende der Welt als „Ragnarök“, eine Serie von apokalyptischen Ereignissen, die in einem finalen Kampf zwischen Göttern und dämonischen Kräften gipfeln, gefolgt von einer Neuschöpfung der Welt.
Indigene Völker in Zentralamerika interpretieren den Weltuntergang eher als kosmischen Zyklus, der einen natürlichen Prozess von Geburt, Tod und Wiedergeburt darstellt. Diese Vorstellung betont oft die Verbundenheit der Menschheit mit der Natur, sowie die Relevanz des Gleichgewichts und der Harmonie.
Übergang in das Unbekannte
Unterschiedliche Kulturen und Religionen haben unterschiedliche Vorstellungen. Diese weisen aber ein sich immer wiederholendes Muster auf, gefolgt von der Erkenntnis, dass keines der Enden ein tatsächliches Ende darstellt, sondern vielmehr einen Übergang von einem zerstörerischen Ende zu einem notwendigen Neuanfang.
Der Ethnologe Arnold Van Gennep veröffentlichte im Jahre 1909 das Werk „Les Rites de Passage“ und thematisierte die verschiedenen Rituale des Übergangs. Er hat bemerkt, dass nicht nur am Ende des gesellschaftlichen Lebens eines Individuums, sondern auch währenddessen viele Übergänge zwischen verschiedenen Lebensphasen oder sozialen Zuständen geschehen. Genannt werden hier als Beispiele der Übergang von Kindheit zum Erwachsensein, der Übergang in die Ehe, der Übergang vom Außenseiter zum eingeweihten Mitglied oder von der fremden äußeren Welt zur vertrauten heimischen Umgebung.

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Das Ende in Phasen
Übergangsrituale sind vor allem in sehr spirituellen Gesellschaften ein fester Bestandteil des sozialen Lebens. Dabei durchläuft jedes Ritual, unabhängig welcher Art, dieselben drei Phasen:
- Ablösungsphase: Das Individuum wird aus seiner ursprünglichen Position entfernt: Eine alte Situation wird aufgelöst.
- Zwischenphase: Es folgt der Zwischenzustand, in dem sich das Individuum weder in der alten noch in der neuen Position befindet.
- Integrationsphase: Das Individuum kommt in seine neue Position: Eine neue Ära beginnt.
Im Judentum feiern die Mädchen ihre Bat Mizwa und die Jungen ihre Bar Mizwa, im evangelischen Glauben die Konfirmation, die Bedeutung ist eine ähnliche: Der Übergang vom Kind zur jungen erwachsenen Person wird in fast allen Religionen und Kulturen mit einem Ritual vollzogen. In lateinamerikanischen und anderen spanischen und spanisch geprägten Kulturen markiert der 15. Geburtstag eines Mädchens, die „Quinceañera“, den Schritt ins Erwachsensein. Auch eine Hochzeit kann als ein Ritual gesehen werden, das den Eintritt in die Welt der Ehe und die Vereinigung von zwei Individuen symbolisiert.
Höhepunkt und Hoffnung
Tod und Endzeit werden nicht als endgültiges Ende, sondern lediglich als Ende des sterblichen Lebens gesehen. Sie sind mehr der Übergang in eine andere Existenz. In Mexiko werden beispielsweise mit dem „Día de los Muertos“, dem Tag der Toten, die Verstorbenen und ihr Übergang in eine andere Welt gefeiert.
Die drei Phasen von Übergangsritualen spiegeln sich in den Ideologien vom Ende der Welt in den verschiedenen Kulturen wieder. Es kommt zu einer Zerstörung, gefolgt von einem Zeitalter des Friedens, der Reinheit und der Wiedergeburt. Alle Endzeitvorstellungen weisen Parallelen zu jeden kleinen Übergängen im menschlichen Leben auf. Übergangsrituale spenden nicht nur Sicherheit, sondern auch Hoffnung.
Die verschiedenen Vorstellungen vom Ende der Welt zeigen, dass jeder Wendepunkt im Leben etwas Neues birgt, und navigieren die Menschen so durch die Zyklen des Daseins. Endzeitvorstellungen sind seit jeher die Brücken, die das Alte und das Neue, das Ende und den Neuanfang, Tod und Wiedergeburt miteinander verbinden und uns so auch helfen, loszulassen.