Der Begriff Frühlingsgefühle fliegt herum wie übermütige Schmetterlinge – oder Pollen. Er beschreibt die Tendenz, dass in den Frühlingsmonaten besonders viele Menschen Amor zum Opfer fallen und von seinen Liebespfeilen durchbohrt werden, bis sich sogar das allergiebedingte Brennen in den Augen in eine rosarote Brille verwandelt. Auch alte Liebesbeziehungen blühen im Frühling anekdotisch auf und finden zu neuem Leben. Beginnend mit dem März erkranken immer mehr Amoropfer an einer der herzschädigensten aller Krankheiten: dem Frühlingsfieber.
Herbstgrippe, Winterblues, Frühlingsfieber. Wer denkt, mit Pollen in der Nase sei der evolutionsbedingte Mangel schon eingebüßt, der hat die Rechnung noch nicht mit den Schmetterlingen gemacht, die sich im Frühling oft unverfroren im Bauch einnisten und für so manchen Trubel sorgen. So individuell wie wir uns oft gern wahrnehmen – auch wir sind nur die mehr oder minder wohlgeformten Behälter unserer Hormone, die unser Handeln diktieren. Wie diese Hormondiktatur auf Papier aussieht, wissen wir ja. Aber was geht da wirklich in uns vor?
Im Winter produzieren wir größere Mengen des Schlafhormons Melatonin, das wir für unseren kognitiven und emotionalen Winterschlaf verantwortlich machen können. Im Sommer hingegen wird unsere Zirbeldrüse über die vermehrte Sonneneinstrahlung angeregt und wir fühlen uns wieder wacher, aktiver und motivierter. Neben dem Abbau von Melatonin steigt auch die Produktion von Endorphinen, den Glückshormonen – der Name ist hier Programm. Frühlingsgefühle sind im Grunde nur ein Synonym für den Cocktail aus Dopamin, Noradrenalin und Serotonin, der uns – ähnlich wie auch ein echter Cocktail – schonmal auf dem Bartresen tanzen und die ganze Nacht aus dem ein oder anderen Grund aufbleiben lässt.
Bei Männern steigt zusätzlich auch der Testosteronspiegel, was wieder mehr Leben in die Lenden bringt und nicht nur den Tanzboden in Schwingung versetzt. Dopamin sorgt für die Weiterleitung von Emotionen und Empfindungen. Mit dem Stresshormon Noradrenalin sind wir dann auch geschärft für doppelt schnellen Puls. Serotonin, die dritte Zutat im Bunde, mischt noch die Wohlfühl-Komponente hinzu, die gleichzeitig schmerzhemmend und stimmungsaufhellend wirkt, und schon ist der Hormoncocktail komplett und wir sind im Gefühlsrausch.

@pixabay
Von den Bienchen und Blümchen
Nach kalten und oft anstrengenden Wintermonaten erwacht im Frühling alles zu neuem Leben. Bewegung kehrt wieder in die Tier- und Pflanzenwelt zurück, bei vielen Arten wortwörtlich, und irgendwo kommen dann auch wir ins Spiel. Immerhin sind wir nun hormonell aus dem Winterschlaf erwacht, die Tage werden länger und die Klamotten dafür kürzer. Man spricht in den Wintermonaten gern von der „Cuffing Season”, was sich auf die Tendenz bezieht, sich in den kalten Monaten mit einer Beziehung warmzuhalten. Im Frühling jedoch macht dieser Trend eine agile halbe Pirouette – und so auch der Beziehungsstatus, der vor allem in der Zeit zwischen März und Juni von „glücklich vorm Kaminfeuer kuschelnd” zu „kuscheln kann ich auch, wenn ich dann mal im Feuer lieg“ umschlägt.
Frühling stellt für viele einen Neustart dar. Nicht umsonst gibt es den berühmt-berüchtigten Frühjahrsputz, bei dem alles entstaubt und erneuert wird. Winter ist die Zeit der Besinnung, im Frühling kommt dann die Zeit der Sinnlichkeit. Warme Temperaturen laden einfach zum Herumtreiben ein.

@pixabay
Equinox – mehr als nur ein guter Titel für ein Twilight-Sequel
Frühling steht für einen Neubeginn. In den Worten von Hemmingway: Egal, welch große Verzweiflung man haust, mit derselben Gewissheit, mit der man weiß, dass nach dem Winter immer der Frühling kommt, weiß man auch, dass der Fluss wieder fließen wird, nachdem er zugefroren war.
Angesichts des Klimawandels natürlich mit leicht bittersüßem Beigeschmack, aber dennoch kann der Frühling für Veränderung stehen, die dazu einlädt, das Gesicht der Sonne zuzuwenden.
Equinox, die Tag-und-Nacht-Gleiche, eröffnet in vielen Kulturen den Frühling. Sie bezieht sich auf den Zeitpunkt, an dem die Sonne senkrecht über dem Äquator steht und Tag und Nacht annähernd gleich lang sind. Danach verschieben sich die Tag- und Nachtstunden wieder, im Falle des Frühlings dient dies als Übergangspunkt zu längeren Tagen und somit mehr Zeit für die Ergreifung von Möglichkeiten, die diese zu bieten haben. Henry David Thoreau schrieb: „Lebe jede Jahreszeit, wie sie kommt, atme die Luft, trinke das Wasser, koste die Früchte und unterwerfe dich den Einflüssen jeder Jahreszeit.” Im Frühling bedeutet dies, sich gegebenenfalls vom Frühlingsfieber konsumieren zu lassen und offen für Fieberhallizunationen und jegliche weitere Symptome zu sein, die es so zu bieten hat.
Ob man sich nun als Amors verschnupfte Zielscheibe sieht oder die Frühlingsgefühle trotz laufender Nase enthusiastisch inhaliert, ist individueller als die Liebe selbst. Genauso die Frage, ob Liebe nur glorifizierte Chemie ist und wir im Grunde nichts anderes als berührungsbedürftige Blumen sind, die beim ersten Anblick der Sonne den Kopf aus dem Boden recken und ihre Blätter ausfahren. Eins ist allerdings klar – gegen Frühlingsfieber gibt es leider kein Aerius und somit lautet die Devise: fühlen oder daheim bleiben.