Miss World – diesen Titel trägt die Gewinnerin des ältesten internationalen Schönheitswettbewerbs. Zum ersten Mal im Jahr 1951 von dem Briten Eric Morley veranstaltet, übertrugen zunächst die BBC und später weniger prominente Sender den Kampf um die Krone. Obwohl der Wettbewerb bereits in den Siebzigerjahren von Teilen des Publikums als reaktionär, sexistisch und rassistisch wahrgenommen wurde, glich die Einschaltquote zu Hochzeiten der einer königlichen Vermählung. Die Fernsehübertragung galt als familientaugliche Unterhaltung.
Außergewöhnlich große Aufmerksamkeit erlangte die Miss-World-Krönung allerdings im November 1970: Frauenrechtlerinnen demonstrierten vor dem Austragungsort und störten schließlich die Veranstaltung in der Royal Albert Hall in London – bis der Wettbewerb kurzzeitig unterbrochen werden musste.
Eine sexistische Fleischbeschau
Sally Alexander ist die bekannteste der Demonstrantinnen und ist heute emeritierte Professorin für Geschichte. Zum Zeitpunkt des Protests studierte sie, stemmte die Erziehung ihrer vierjährigen Tochter und störte zur selben Zeit als Mitglied des Women’s Liberation Movement das Miss-World-Finale. Ihre Kritik: Nur auf dem Viehmarkt und in der Royal Albert Hall würden Lebewesen gewogen und vermessen werden.
Was in der Welt der Schönheitswettbewerbe als normal gilt, verdeutlicht der Film „Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution“ mit Keira Knightley in der Hauptrolle. Die fiktionalisierte Darstellung der Misswahl 1970 widmet sich den Hintergründen und der Ausführung des Protests. Wie sich die teilnehmenden Frauen auf der Bühne präsentierten, wird aus beiden Perspektiven gezeigt:
Vor einem Millionenpublikum treten die Titelanwärterinnen erst in Kostüm, dann in Abendgarderobe und schließlich in Bademode auf. Besonders ausgiebig müssen sie die Rückseite ihres Körpers präsentieren. Währenddessen reißt der Hollywood-Comedian Bob Hope auf der Bühne diskriminierende Witze. Bewertet werden Miss Grenada, Miss Schweden und ihre Mitstreiterinnen von einer Jury, die hauptsächlich mit Männern besetzt ist. Für die Demonstrantinnen ein fleischgewordener Alptraum, die in dem Wettbewerb die patriarchalen Strukturen der Gesellschaft im Kleinen repräsentiert sehen.
„Nieder mit dem Patriarchat!“
Alexander und ihre Freundinnen machen sich – sowohl im Film als auch in der Realität – durch lautes Rasseln bemerkbar. In Abendmode haben sie sich unter das stilvoll gekleidete Publikum gemischt, springen nun auf und ziehen mit Mehl gefüllte Säckchen und Rauchbomben aus ihren Handtaschen. Im Chor brüllen und skandieren sie: „Wir sind nicht hässlich, wir sind nicht schön – wir sind wütend!“ Unterstützung erhalten sie von anderen Frauenrechtlerinnen, die sich überall im Saal aus ihren Sitzen erheben. Dann feuern die Demonstrantinnen ihre Geschosse ab, ziehen mit Tinte gefüllte Spielzeugpistolen hervor und nähern sich sowohl den Sicherheitsleuten als auch den Veranstaltern und Präsentatoren Eric Morley und Bob Hope. Diese flüchten eingeschüchtert in den Backstage-Bereich. Als Alexander auf die Bühne stürmen will, wird sie – wie viele ihrer Genossinnen – von der Polizei festgehalten und schließlich abgeführt.

Bild: Associated Newspapers Limited via Wikimedia Commons
Über Schönheit definiert
Im Film hält sich Alexander mit Protest zurück, bis die Kandidatinnen nach der dritten Bewertungsrunde die Bühne verlassen haben. In der Realität mögen die Wurfgeschosse bereits abgefeuert worden sein, als sich die Missen noch in Bademode präsentierten. In einem BBC-Interview erklärte Alexander später, dass sich ihre Kritik nicht gegen die teilnehmenden Frauen richtete. Stattdessen ging es der Bewegung um die Frage, warum Frauen nur dann als würdig erachtet würden, wenn sie schön genug sind. Dass Frauen in den Siebzigerjahren primär über ihre physischen Attribute definiert würden, kritisierte der Women’s Liberation Workshop zudem in einem offiziellen Statement. Der Workshop stellte die provokante These auf, Frauen würden nur geboren werden, um zu gebären und um auf ihr Äußeres reduziert zu werden.
Viele Anwärterinnen auf den Titel der Miss World teilten diese Meinung nicht. Jennifer Hoston, die gekrönte Gewinnerin des Wettbewerbs des Jahres 1970, gab in einem Interview zu verstehen, dass es ihr nicht um gleiche Rechte ginge. „Ich möchte das nicht – mir gefällt ein Gentleman, der den Stuhl für mich zurecht rückt.“ Gleichzeitig erinnerte sich Alexander jedoch, dass vereinzelte Teilnehmerinnen die Festnahme der Demonstrantinnen verhindern wollten. „Lasst sie los!“, soll Miss Schweden einem Polizisten zugerufen haben, der die Aktivistin festhielt.
Innere Zerrissenheit
In der Bevölkerung trafen die Demonstrantinnen ebenfalls auf gemischte Gefühle. Viele Frauen äußerten öffentlich ihre Zustimmung. Sie schlossen sich den Protestaktionen an, indem sie auf Plakaten und Schildern ihre Meinung kundgaben. Redakteurinnen, darunter die der Tageszeitung The Guardian, bekannten sich in Texten zu der Bewegung. Große Teile der weiblichen Bevölkerung teilten die Ansichten der Frauenrechtlerinnen allerdings nicht.
Die unterschiedlichen Ansichten der Frauen werden im Film mithilfe eines Streits zwischen Alexander und ihrer Mutter vermittelt. Als Alexanders Tochter von der Großmutter zurechtgemacht in Miss-Manier durch das Wohnzimmer schreitet, richtet die Frauenrechtlerin ihre Wut gegen ihre Mutter: Wie kann es sein, dass sie die Problematik des Schönheitswettbewerbs nicht erkennt – oder nicht erkennen will? Womöglich gehört dieser Moment der Fiktion an. Dennoch wird für das Publikum in diesem Paradebeispiel sichtbar, wie die ungleiche Generationenzugehörigkeit und die Erfüllung verschiedener Frauenrollen die Wahrnehmung von Schönheitswettbewerben beeinflussen.
Ein prägendes Ereignis
Alexander und vier weiteren Demonstrantinnen blieb schließlich die Festnahme durch die Polizei. In Alexanders Handtasche wurden vier Plastikmäuse und eine überreife Tomate gefunden. Anschließend folgte eine Nacht im Gefängnis. Im Rahmen des darauffolgenden Gerichtsprozesses wurde Alexander unter anderem des tätlichen Angriffs auf die Polizei für schuldig befunden. Sie und ihre Mitstreiterinnen wurden zu niedrigen Geldstrafen verurteilt.
Ein halbes Jahrhundert nach der Demonstration in der Albert Hall konkurrieren noch immer Frauen in Schönheitswettbewerben. Kämpfen können sie um eine Vielzahl von Titeln, gekrönt werden sie schließlich zur Miss World, Miss Universe oder Miss Earth. Die Begutachtung erfolgt dabei auf Grundlage von subjektiven Einschätzungen von Schönheit, auch Maßbänder sind noch immer Bestandteil der Begutachtungsprozesse. In den letzten Jahren wurden zusätzlich wiederholt Kriterien wie Intelligenz und Persönlichkeit in die Bewertung miteinbezogen. Von einigen Teilen der Gesellschaft als billige Maskierungsversuche eines sexistischen Wettbewerbs verurteilt, schätzen andere Zuschauer:innen wiederum die Neuerungsversuche.
Alexander zeigte sich in einem im Jahr 2014 erschienen BBC-Interview überglücklich über den Erfolg des Protests: Ein sexistischer Wettbewerb ist zum Schauplatz für ein markantes Stück Feminismus-Geschichte geworden.