Entlohnung
Als gerichtlich zertifizierter Dolmetscher wird man in Österreich nach dem Gebührenanspruchsgesetz vergütet. Das bedeutet, dass man für das Dolmetschen EUR 24,50 für die erste halbe Stunde und EUR 12,40 für jede weitere halbe Stunde verdient (und das wohlgemerkt vor Abzug von Steuern und Sozialabgaben). Geradezu lächerliche Beträge, bei denen Selbstständige anderer Berufsgruppen in Österreich nicht einmal darüber nachdenken würden, den Auftrag überhaupt anzunehmen. Für EUR 24,80 pro Stunde würde wohl kein Rechtsanwalt rechtlichen Rat verteilen, genauso wenig wie ein Handwerker einen Wasserschaden reparieren würde. Hier würde man eher mit einem Stundensatz von EUR 100,- pro Stunde rechnen können.
Die Vergütung für das Übersetzen eines Textes fällt ähnlich niedrig aus. Hierfür erhält man EUR 0,75 pro Normzeile. Zum Vergleich: In Deutschland erhält man für dieselbe Dienstleistung ab 01.01.2021 EUR 85,- für eine Stunde dolmetschen und für das Übersetzen ab EUR 1,80 pro Normzeile.
Die hohen Anforderungen an den Berufsstand
Nun mag man sich als Laie denken, dass die niedrige Vergütung daran liegen mag, dass jeder übersetzen und dolmetschen kann, der zwei Sprachen beherrscht. Eine leider weitverbreitete Fehlmeinung, denn als Dolmetscher und Übersetzer vollbringt man jeden Tag Höchstleistungen. Vor allem als Gerichtsdolmetscher reichen sprachliche Kenntnisse bei Weitem nicht aus. Man muss auch ein breites Wissen über die Ausgangs- und Zielkultur, die Rechtssysteme der Ausgangs- und Zielsprache, ein großes Allgemeinwissen und terminologisches Wissen in vielen anderen Bereichen wie Medizin und Technik mitbringen.
Jede Gerichtsverhandlung ist einzigartig. So kann es vorkommen, dass man an einem Verhandlungstermin Begriffe wie Servomotor und Gewindespindel in eine andere Sprache übertragen, das nächste Mal in die Untiefen der Anatomie eintaucht und Gespräche über eine Verletzung des Musculus deltoideus oder des Mondbeins dolmetschen muss. Für alle nicht-Grey’s Anatomy-Fans: Hierbei handelt es sich um den größten Schultermuskel bzw. einen der acht Handwurzelknochen. Begriffe, die man als Laie nie verwendet, als Dolmetscher aber aus dem Stegreif einordnen und in eine andere Sprache übertragen muss. Daher bedarf es einer langjährigen Ausbildung und sehr viel Übung, um ein guter Dolmetscher zu sein.
Fehlende Tariferhöhung seit 2007
Die letzte Tariferhöhung fand 2007 statt. Seither wurden die Tarife nicht einmal an die Inflation angepasst. Obwohl das Budget des Justizministeriums dieses Jahr um 65,8 Millionen Euro aufgestockt wurde, wurden die Tarife für Gerichtsdolmetscher nicht erhöht. Aus dem Parlament heißt es, dass die Aufstockung des Budgets „die Sicherstellung der Aufrechterhaltung des Justizbetriebs gewährleisten“ soll. Fraglich ist jedoch, wie der Justizbetrieb aufrechterhalten werden soll, wenn es keine Dolmetscher gibt. In Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist festgelegt, dass jeder Angeklagte das Recht hat, die Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen, wenn er die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sich darin nicht ausdrücken kann. Weiters hat man gemäß § 56 Strafprozessordnung als Beschuldigter das Recht auf eine schriftliche Übersetzung der wesentlichen Aktenstücke, wenn dies zur Wahrung eines fairen Verfahrens notwendig ist.
Der österreichische Verband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Gerichtsdolmetscher setzt sich schon seit Jahren für seine Mitglieder ein und kämpft für eine faire Bezahlung. 2020 fanden Gespräche zwischen dem Verband und der zuständigen Stelle im Justizministerium statt, bei denen einige Forderungen, die vom Verband gestellt wurden, bereits zugesichert wurden. Leider ist aus der Novellierung des Gebührenanspruchsgesetzes nichts geworden. Laut der Presseaussendung des Verbandes vom 11.11.2020 scheiterte die Gebührenreform am Koalitionspartner ÖVP. Die ÖVP war gegenüber UNIpress für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Das Justizministerium äußerte sich in einer Stellungnahme gegenüber UNIpress zur Frage, warum die Verhandlungen gescheitert sind wie folgt:
Die Frau Bundesministerin und das Bundesministerium für Justiz haben sich im Herbst 2020 intensiv darum bemüht, dass das Gebührenrecht der Gerichtsdolmetscherinnen und Gerichtsdolmetscher mit dem Budgetbegleitgesetz 2021 abgeändert wird. Da in der politischen Diskussion jedoch Bedarf nach weiterer Abstimmung in diesem Punkt gesehen wurde, konnte das Ziel einer möglichst raschen Umsetzung dieser gebührenrechtlichen Schritte vorerst leider nicht erreicht werden.
Der Verband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Gerichtsdolmetscher hat uns seinen Forderungskatalog vorgelegt. Einige dieser Forderungen wären im bereits ausgearbeiteten, aber gescheiterten, Novellierungsentwurf berücksichtigt worden. Unter den Forderungen seitens des Verbandes sind unter anderem eine Erhöhung der bisherigen Vergütung für Dolmetsch-Dienstleistungen auf EUR 50 pro begonnene halbe Stunde und auf EUR 1,90 pro Normzeile für Übersetzungs-Dienstleistungen.
Fatale Folgen der ausbleibenden Gebührenreform
Findet man für eine Gerichtsverhandlung keinen Dolmetscher aus der offiziellen Liste des Justizministeriums, werden sogenannte Laiendolmetscher eingesetzt. Das Problem dabei ist, dass diese Dolmetscher nicht gerichtlich beeidet sind und somit auch nie eine Prüfung abgelegt haben, bei der sie ihr Wissen über die Rechtssysteme und ihre Sprachkenntnisse unter Beweis stellen mussten.
2006 gab es noch 1.400 Gerichtsdolmetscher in Österreich. Anfang 2021 sind es etwas mehr als 720, wobei das Durchschnittsalter bei 60 Jahren liegt. Der Verband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Gerichtsdolmetscher rechnet zukünftig mit einem weiteren Rückgang. Vor allem in den außereuropäischen Sprachen ist der Verband laut eigenen Angaben auf der Suche nach Gerichtsdolmetschern.
Daher wird es ab 2021 gemäß § 14 Z 5a SDG auch die Möglichkeit geben, sich als sogenannter Gerichtsdolmetscher light für nicht-europäische Sprachen zertifizieren zu lassen. Das bedeutet, dass der Prüfungsteil „schriftliche Übersetzung“ entfallen würde. Um sich in die Liste der Gerichtsdolmetscher eintragen zu können, ist nämlich das Bestehen einer Prüfung Voraussetzung. Diese Prüfung besteht aus einem juristischen Fragebogen, Übersetzen in beide Richtungen, Dolmetschen vom Blatt in beide Richtungen und einer „simulierten Gerichtsverhandlung“ mit Dolmetschung in beide Richtungen. Als Gerichtsdolmetscher light ist man jedoch nur befugt, bei Behörden zu dolmetschen. Das Anfertigen von beglaubigten schriftlichen Übersetzungen bleibt jenen vorbehalten, die alle 4 Prüfungsteile absolviert haben.
Maria Danilova und Mary Heaney Margreiter zur Situation in Tirol
In Tirol sind derzeit rund 60 Gerichtsdolmetscher in der Liste des Justizministeriums eingetragen. Maria Danilova und Mary Margreiter sind zwei davon und berichten für UNIpress über die Situation in Tirol:
UNIpress: Frau Danilova, Frau Margreiter, warum haben Sie sich für den Beruf der Gerichtsdolmetscherin entschieden, obwohl die Vergütung so gering ist?

© Maria Danilova
Maria Danilova: Aufgrund der Praxiszeiterfordernis habe ich genug Zeit gehabt, um mein Geschäft im Tourismusbereich aufzubauen, Kundenbestätigungen zu sammeln und mich parallel auf die Prüfung vorzubereiten. Dank meinem Titel „Gerichtsdolmetscherin“ genieße ich viel Anerkennung und darf unter anderem für hochkarätige Delegationen im Bereich Wirtschaft und Politik dolmetschen. Das ist mein USP, das mich von anderen auszeichnet und auf mich aufmerksam macht. Es ist im selbständigen Geschäftsleben sehr viel Wert.

© Mary Margreiter
Mary Margreiter: Geld ist nicht das Wichtigste im Leben. Der Titel „Gerichtsdolmetsch“ bringt einem in der Öffentlichkeit sehr viel Anerkennung und Respekt. Er ist ein Garant für hohe Qualität, Verlässlichkeit und überhaupt Vertraulichkeit.
Auch ist die Arbeit enorm interessant, fad wird es uns nie. Wenn man für die Gerichte, Polizei, Standesämter, Jugendämter, Zollbehörde usw. arbeitet, bekommt man einen tiefen Einblick in das öffentliche Leben eines Landes. Ich möchte auch betonen, dass nicht alles was im Gericht passiert, böse ist, es gibt auch viele freudige Momente in der Arbeit als Gerichtsdolmetsch.
UP: Welche Auswirkungen hat es Ihrer Meinung nach, wenn vom Gericht Laiendolmetscher eingesetzt werden?
Danilova: Ich habe Verschiedenes erlebt. Ein Laiendolmetscher ist nicht gleich ein schlechter Dolmetscher! Aber das ist wie eine Katze im Sack. Man weiß nicht, ob die Qualität stimmt. Und oft ist es auch kaum möglich, im Laufe des Dolmetscheinsatzes festzustellen, ob der/die LaiendolmetscherIn gut ist, da die Anwesenden die Fremdsprache nicht beherrschen. Die Folgen können im schlimmsten Fall fatal sein, dass bei der falschen Übersetzung einfach auch die falschen Schlussfolgerungen gezogen werden und das zu einem anderen Urteil führt oder dass sich alles verzögert, Beschlüsse angefochten werden, etc., weil man bei der Ersteinvernahme bei der Polizei einen schlechten (wie es sich dann herausstellte) Laiendolmetscher „erwischt“ hat!
Margreiter: Bei manchen Sprachen ist das Gericht darauf angewiesen, Laiendolmetscher einzusetzen, weil es einfach nicht für jede Sprache dieser Welt Gerichtsdolmetscher gibt. Ich musste zum Beispiel kürzlich für einen Mann aus Ghana dolmetschen, der nur seinen ghanäischen Dialekt sprach. In diesem Fall hat das Gericht zwei Dolmetscher geladen: Der Ghanäer sprach in seinem Dialekt zu einer Laiendolmetscherin, die mir dann auf Englisch sagte, was der Ghanäer ihr gesagt hat. Dann habe ich dem Richter das Ganze auf Deutsch erzählt. Also sieht man, dass Laiendolmetscher manchmal unumgänglich sind.
Ansonsten würde ich meinen, dass es viele Laiendolmetscher gibt, die die Gerichtsarbeit machen, aber aus welchen Gründen auch immer noch nie zur Prüfung angetreten sind. Wer die Arbeit macht, wird vermutlich die Prüfung schaffen. Es wäre im Sinne der Gerichte als auch der Laiendolmetscher, sich der Prüfung zu unterziehen.
UP: Wie ist die Stimmung unter den Gerichtsdolmetschern in Tirol generell? Kann man von der Vergütung leben?
Danilova und Margreiter: Wir, die Gerichtsdolmetscher, sind empört, dass sich alle in der Regierung im Prinzip gegenseitig die Schuld zuschieben und wir wieder durch die Finger schauen. Nichtsdestotrotz halten wir zusammen, sind solidarisch und sehr kollegial.
Von der Vergütung als Gerichtsdolmetscher zu leben ist für manche „kleine“ Sprachen schlicht unmöglich. Wir sind alle auf Aufträge von Privatkunden angewiesen. Wir möchten an der Stelle noch betonen, dass das Gerichtsdolmetschen nicht der Hauptberuf sein muss, man kann das ohne weiteres als Nebenberuf ausüben.
Danilova: Ich bin hauptberuflich (Gerichts-)Dolmetscherin. Ich kann von meiner Firma leben, da ich mehrere Standbeine habe. Ich spezialisiere mich unter anderem im Bereich Seilbahnwirtschaft und Tourismus. Ich kann ehrlich sagen, dass man von der Vergütung nach dem GebAG sicher nicht leben kann, ABER von der Tätigkeit als Gerichtsdolmetscher schon. Wenn ich für die Notare, Standesämter und Privatkunden arbeite (das dürfen ja NUR die gerichtlich beeideten DolmetscherInnen), da werde ich ganz normal (und zwar gut) bezahlt. Schwieriger ist es im Falle der Sprachen, wo es sich leider zu 90% nur um Strafverfahren handelt.
UP: Sie halten an der Uni Innsbruck auch Gastvorträge, in denen Sie die Arbeit des Gerichtsdolmetschers jungen Studierenden der Translationswissenschaft näherbringen. Haben Sie das Gefühl, dass die Studierenden von der niedrigen Vergütung abgeschreckt werden?
Danilova und Margreiter: Wir haben das deutliche Gefühl, dass sich die Studierenden noch mehr von der Prüfung abschrecken lassen: Aber nicht von der niedrigen Vergütung, sondern eher von der Schwierigkeit der Prüfung. Die Absolventen der Translationswissenschaft haben den großen Vorteil, dass sie ja Übersetzen und Dolmetschen studiert haben. Es gibt viele Sprachen, für die es kein translationswissenschaftliches Studium gibt. Für solche Sprachen ist es viel schwieriger die Prüfung zu bestehen, und doch schaffen es immer mehr Leute. Also, bitte nicht scheu sein, zur Prüfung antreten. Sie ist zu schaffen.
UP: Wie ist Ihre Meinung zur niedrigen Vergütung?
Danilova und Margreiter: Die Arbeit für die Behörden ist in der Tat viel zu niedrig vergütet, aber wir arbeiten an einer Besserung und hoffen auf das tatsächliche Handeln der Regierung im Jahr 2021, damit faire Verfahren vor Gericht weiterhin gewährleistet und die Gebühren für GerichtsdolmetscherInnen auf ein angemessenes Niveau angehoben werden.
Und unsere privaten Aufträge, z.B. für Urkundenübersetzungen oder Aufträge von Firmen, Einsätze bei den Notaren oder für die Standesämter verrechnen wir zu ganz normalen marktwirtschaftlichen Sätzen. Man darf nicht vergessen, dass in Österreich die Bezeichnung „Gerichtsdolmetscher“ gesetzlich geschützt ist und die Gerichtsdolmetscher die einzigen sind, die eine Übersetzung beglaubigen dürfen. Das allein bringt immer wieder Aufträge ein. Wie man sieht, gibt es viele gute Gründe Gerichtsdolmetscher zu werden.
Der Kampf geht somit weiter…
Das Justizministerium erklärte gegenüber UNIpress außerdem, dass es „auch in der nächsten Zeit weiterhin intensiv danach trachten wird, auch die angestrebten gebührenrechtlichen Verbesserungen für die allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscherinnen und Dolmetscher umzusetzen“. Und so geht der Kampf der Gerichtsdolmetscher weiter…