US-Außenpolitik nach Trump: Wohin steuert Amerika?

von Philipp Mühlegger
Lesezeit: 6 min
Dieser Frage widmete sich am Dienstag der Politologe und Insider James M. Lindsay in einem virtuellen Vortrag am MCI. Eines ist sicher: Auf den neuen US-Präsidenten Joe Biden warten große Herausforderungen.

Gerade einmal vor zwei Wochen wurde der Demokrat Joseph Robinette Biden, Jr. zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika angelobt. Damit folgt auf den unkonventionellen und lauten Quereinsteiger Donald Trump wieder ein altbewährter Politiker. Nach Jahren einer unberechenbaren Außenpolitik gilt es nun für den neuen Präsidenten viele Brüche wieder zu kitten. Doch welche geopolitischen Spielfelder werden die größte Bedeutung für die USA in den kommenden Jahren haben? Inwiefern wird sich die US-Außenpolitik nun verändern und wo wird sie ungebrochen fortgeführt?

Fragen, auf welche der Experte für US-Politik James M. Lindsay versucht eine Antwort zu liefern.  Am 2. Februar wurde er im Rahmen einer Veranstaltung am Management Center Innsbruck live aus Washington DC zugeschaltet und gab erste Prognosen für den Politikstil, welcher von der neuen Biden-Administration zu erwarten ist. Lindsay ist Senior Vice President des Council on Foreign Relations (CFR), einem renommierten Thinktank in New York. Unter Präsident Bill Clinton arbeitete er außerdem für das National Security Council, wodurch er neben seiner akademischen Laufbahn auch in der politischen Praxis tätig war.

Corona-bedingt fand der Vortrag online statt (links: MCI-Rektor Andreas Altmann)

Stronger together: Drei Säulen der Politik unter Joe Biden

Lindsay zufolge wird sich die Politik der Biden-Administration auf drei Säulen stützen – dabei fällt die erste auf die Innenpolitik. Denn ungeachtet der gewichtigen Rolle der USA in der Weltpolitik wird auch Biden seinen Fokus darauf legen müssen. Viele Menschen in den USA haben den neuen Präsidenten vor allem aus innenpolitischen Gründen gewählt. Eine nicht unerhebliche Rolle spielte dabei auch die Corona-Pandemie, bei deren Bekämpfung die Trump-Administration angesichts hoher Infektionszahlen eine schlechte Leistung abgeliefert hat, so Lindsay.

Doch die anderen beiden Säulen sind bereits der Außenpolitik vorbehalten: Da wären einerseits die Beziehungen Washingtons zu seinen traditionellen Verbündeten. Diese gelte es nach der Devise “We are stronger together” zu reparieren. Weltweit solle anderen Staaten signalisiert werden, dass die USA wieder zur Zusammenarbeit bereit sind.  Natürlich sollte man sich aber auch keine Illusionen machen – denn Uneinigkeiten mit Alliierten hatten die USA schon immer und werden sie auch weiterhin haben (man bedenke allein Vietnam).

Auf der anderen Seite soll das Augenmerk stärker auf China gelenkt werden: So solle Peking von seinem “recent path of agressiveness“ abgebracht werden. Damit gemeint ist der Eindruck in der US-Politik, dass China zunehmend danach strebe, sich als Player außerhalb der US-geführten Weltordnung zu etablieren. Auf diese Weise untergrabe es westliche Interessen und Werte und müsse daher von seinem herausfordernden Kurs durch ein geeintes Auftreten abgeschreckt werden. Dabei gehe es aber nicht gleich um eine Eindämmungspolitik gegenüber China, wie sie etwa gegen die einstige Sowjetunion betrieben wurde. Doch die USA erwarten sich sehr wohl von Partnern wie Deutschland, dass diese, was China betrifft, klar zu ihren US-Verbündeten stehen. Dies betrifft auch eine verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen einer globalen Wirtschaft.

Keine Illusionen bei Russland

Abseits von diesen Schwerpunkten sieht sich Washington mit weiteren langfristigen Herausforderungen konfrontiert. Diese reichen vom Klimawandel bis hin zu den konfliktreichen Beziehungen zum Iran und Nordkorea. Unter Biden möchten die USA wieder im Klimaschutz aktiv werden, dabei ist internationale Zusammenarbeit unabdinglich. Doch da die US-Regierung sich hier auch mit dem Kongress einig werden muss, wird ein solcher Kurs freilich nicht ohne innenpolitische Hindernisse bleiben.

Was Russland betrifft, so machen sich die USA hier keine allzu großen Erwartungen, so Lindsay. Das Land habe für Washington nicht dieselbe Priorität wie China. Zwar verfolge die Biden-Administration die aktuellen rechtstaatlichen Entwicklungen im größten Flächenstaat der Erde mit Sorge, doch auf umfassende Änderungen dieses Zustands werde man nicht hoffen. Auch wolle die US-Regierung nicht mehr zu dem Kurs unter Obama oder Clinton zurückkehren, als man noch an einen Neuanfang der Beziehungen glaubte. Zwar seien die USA weiterhin offen für eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen – doch der erste Schritt müsse von Russland kommen. Im Gegensatz zu Donald Trump ist eine deutlich offenere Kritik der USA gegenüber dem Kreml zu erwarten. Auch seien weitere Sanktionen für die Zukunft denkbar. Andererseits war die US-Russlandpolitik unter Trump faktisch auch mehr von Kontinuität geprägt als dessen positive Haltung gegenüber Wladimir Putin nahegelegt hätte.

Status quo und Zurückhaltung im Nahen Osten

Der Nahe Osten bleibt eine der größten Herausforderungen der USA. So soll wieder eine Einigung mit dem Iran erzielt werden, um Teheran von der Entwicklung nuklearer Waffen abzuhalten. Da es ausgerechnet die USA selbst waren, welche unter Trump aus dem bisherigen Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen sind, gestaltet sich dieses Ziel als besonders schwierig. Doch Washington möchte nun wieder versuchen, mit Teheran eine neuerliche Einigung zu erreichen. Generell werden es die USA auch unter Präsident Biden vermeiden, in neue Konflikte im Nahen Osten hineingezogen zu werden. Die Erfahrungen aus Afghanistan und dem Irak lassen Washington hier wieder mehr auf diplomatische Lösungen setzen. Neue Möglichkeiten für die USA im Syrienkrieg eine Rolle als Konfliktlöser zu spielen, sieht Lindsay nicht.

Die Unterstützung für Israel wird dabei ungebrochen aufrecht erhalten. Der neue Secretary of State Anthony Blinken hat demnach bereits erklärt, dass die USA Trumps kontroverse Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem nicht rückgängig machen werden. Auf der anderen Seite werden zuvor inoffizielle Kontakte Israels zu mehreren arabischen Staaten zunehmend zu offiziellen diplomatischen Beziehungen umgewandelt: Das jüngste Beispiel stellen die Vereinigten Arabischen Emirate dar. Ob Saudi-Arabien ähnliche Schritte folgen lässt, bleibt abzuwarten. Doch den Konflikt mit den Palästinensern wird dies freilich nicht lösen.

Die US-amerikanischen Beziehungen zur Türkei haben sich wiederum in den letzten Jahren verschlechtert, bedenkt man allein die rechtstaatlichen Entwicklungen dort. Weitere Probleme liefert der Öl- und Gasstreit im östlichen Mittelmeer, was die Beziehungen westlicher Staaten zur Türkei nur weiter belastet. Doch ein allzu starkes Eingreifen der USA sei in diesem Konflikt nicht zu erwarten, es würde die Lage nur noch komplizierter machen.

Inwiefern wird die neue Vizepräsidentin die Außenpolitik gestalten?

Zum Schluss ging Lindsay noch auf die Rolle der neuen US-Vizepräsidentin Kamala Harris ein. Angesichts dessen, dass Joe Biden selbst als Vizepräsident unter Obama relativ viel Möglichkeit zur Mitgestaltung der Außenpolitik zugestanden wurde, sei Ähnliches für Harris durchaus nicht von der Hand zu weisen.

Live-Zuschaltung aus Washington

Das und Weiteres präsentierte Lindsay live zugeschaltet aus tausenden Kilometern Entfernung. Der Politikexperte bereue, dass er nicht für eine lebhafte Diskussion persönlich in Österreich sein könne. Um der Veranstaltung doch einen interaktiven Charakter zu verleihen, nahm das MCI Fragen via Mail entgegen. Diese wurden schließlich von MCI-Rektor Andreas Altmann, welcher die Veranstaltung moderierte, an Lindsay gestellt. Die Möglichkeit nutzten zahlreiche interessierte Zuschauerinnen und Zuschauer im Verlauf der eineinhalbstündigen Online-Übertragung. Ermöglicht wurde der Vortrag durch das MCI in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Botschaft in Wien.

 

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