Markus Köhle “Papa Slam” im Interview

von Tobias Jakober
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Markus Köhle gehört zum Urgestein der Poetry-Slam-Szene in Österreich und ist unter anderem durch den Bäckerei-Poetry-Slam in Innsbruck bekannt wie ein bunter Hund. Wir haben ihm einige Fragen zur Kunst- und Kulturszene in Österreich gestellt.

UNIpress: Lassen Sie uns mit dem Grundsätzlichen beginnen. Welche Bedeutung, glauben Sie, haben Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft?

Markus Köhle: Wie Michael Köhlmeier neulich so schön sagte: „Kultur braucht man nicht, Kultur muss man wollen.“ Und wir sollen mehr Kunst und Kultur wollen. Denn mit Kulturwollen gestrickte Gesellschaften sind solidarischer als profitorientierte.

UP: Wegen der epidemiologischen Maßnahmen mussten die Kulturbetriebe im März 2020 quasi über Nacht ihre Tore schließen. Was hat sich in diesem vergangenen Jahr in der Kulturszene getan?

Köhle: Das war erst ein Schock (im März), dann ein Hoffen (im Sommer) und ist seit Herbst Mühsal in progress. Für die gesamte Kulturszene kann ich nicht sprechen, für die Poetry-Slam-Szene spreche ich gerne. Das Format Poetry Slam braucht die dichte Atmosphäre, die direkte Publikumsreaktion, das Live-Moment. Wenn es keine regelmäßigen Poetry Slams gibt, entstehen auch keine neuen Poetry-Slam-Texte. Ins Netz transferieren lassen sich Poetry Slams nicht.
Für mich persönlich habe ich einen Weg gefunden, meinen diesbezüglichen Output zu kanalisieren. Ich verschicke seit 19. März 2020 wöchentlich eine Video-Botschaft in Spoken-Word-Form. Diese Arbeit ist mir in dieser haltlosen Pandemie-Zeit zur Struktur geworden. Solange wir Kulturkreierenden nicht vor Publikum auftreten dürfen, führe ich dieses Montags-Depeschen-Projekt weiter. Auf dorftv.at und auf vimeo.com sind alle Videos zum Anschauen gesammelt. 

UP: Woran haben Sie sonst noch in diesem vergangenen Jahr gearbeitet?

Köhle: An meiner persönlichen Verfassung, am Glauben an das Gute (ein Sisyphusprojekt), an den eben erwähnten Montags-Depeschen, an einem neuen Langtext, an Kindergedichten, an einem Theaterstück und an der Fertigstellung meines aktuellen Buches „Zurück in die Herkunft. Ein Nabelschaulauf zu den Textquellen“, das soeben im Sonderzahl Verlag erschienen und mein Beitrag zur gegenwärtigen identitätspolitischen Debatte ist. 

UP: Was waren die Versäumnisse der Regierung bei der Unterstützung der Kulturschaffenden in Österreich? Was ist dagegen gut gelaufen?

Köhle: Gut war, dass die LiterarMechana [Zusammenschluss von Autor*innen und Verleger*innen, Anm. d. Red.] sofort und unbürokratisch geholfen hat. Da genügte es, entgangene Auftritte anzuführen und es gab eine Entschädigung dafür. Gut läuft mittlerweile auch die Überbrückungskompensation (was für ein Wort) und der Lockdownbonus (noch so ein Wort!). Wer aber aus diversen Gründen keinen Anspruch darauf hat, hat Probleme. Die Kulturszene war die erste, die abgedreht wurde, und wird wohl die letzte sein, die Lockerungsmaßnahmen (und noch so ein Wort) erfahren wird. Dass Kleinveranstaltungen mit Abstand verboten sind, während im Winter auf Skipisten versucht wurde, so zu tun, als ob nichts wäre, ist natürlich ein Schlag ins Gesicht der vermeintlichen Kulturnation. Die Kunst- und Kulturszene hat halt eine nur sehr kleine und vor allem nicht sehr laute (weil zu verständnisvolle) Lobby. Die anderen Lobbys vertreten skrupellos ihre Interessen, die Lobby der Kunst- und Kulturszene ist verständnisvoll allen anderen gegenüber. Das ist an sich gut, führt jetzt halt dazu, dass wir nicht die ersten sein werden, die wieder zum Zug kommen. Im Übrigen bin ich dafür, das Wort „Kulturschaffende“ durch „Kultursuperspreader“ zu ersetzen. Da steckt „ursuper“ drinnen, es lässt sich praktisch abkürzen – Kusus (Pl.), Kusu (Sg.) – und es ist ein klassischer Post-Corona-Begriff, dessen Bekanntheitsgrad genützt und positiv umgepolt gehört. 

UP: Sie sagen, Österreich brüstet sich damit, eine Kulturnation zu sein – ist dieser Ruf gerechtfertigt?

Köhle: Das ist ein Label, das vor allem auch in touristischen Belangen von Wichtigkeit ist. Österreich ist stolz auf seine Künstler*innen, doch leider eher auf die verstorbenen als auf die lebenden. Österreich ruht sich gerne auf dem Kulturerbe aus und bemüht sich etwas zu wenig um die Erhaltung und Pflege der gegenwärtigen Szene. Deshalb kann von vermeintlicher Kulturnation gesprochen werden.

UP: Sie haben bereits 2002 damit begonnen, in Innsbruck Poetry Slams zu organisieren. Wie kam es zu dieser Idee? 

Köhle: Damals gab es die Bäckerei noch nicht. Die Geburtsstätte des Bäckerei-Poetry-Slam [BPS] ist das Kulturgasthaus Bierstindl. Da arbeitete ich während des Studiums als Programmassistent vom Leiter des Hauses Robert Renk. Das war sozusagen die Bäckerei der 1990er und 00er Jahre. Es gab in den späten 1990er Jahren schon mal Veranstaltungen, die sich Poetry Slam nannten (u.a. im Provinztheater), aber noch mehr eine offene Bühne für alle Kunstformen waren. Was dazu führte, dass sich das Format schnell selbst zerstörte. Ich habe es dann wiederbelebt, weil ich 2001 in Hamburg an einem Poetry Slam teilnahm, der so ablief, wie sie nun seit Jahren ablaufen, und dachte mir, das will ich auch in Innsbruck machen. Robert Renk stellte mir einmal im Monat das Bierstindl-Studio gratis zur Verfügung. Der Rest war Idealismus, Aufbauarbeit und Spaß und ist nun BPS-Geschichte.

UP: Lyrik führt (leider) ja oft nur ein Nischendasein in der Gesellschaft – wie kommt aber die große Beliebtheit der Poetry Slams? 

Köhle: Das Format als Gesamtes ist überzeugend. Es treten Menschen wie du und ich mit den unterschiedlichsten Texten zeitlich befristet auf. Es sind Anfänger*innen ebenso am Start wie Profis. Das Regelwerk ist einfach, das Publikum wird direkt eingebunden, darf mitbestimmen. Die Vielfalt und die Niederschwelligkeit machen es aus. Der Einstieg in die Szene wird allen leicht gemacht. Es geht einerseits um alles (Wettbewerb!), andererseits aber nicht wirklich um was (wenn es ein Budget gibt, wird dieses aufgeteilt; beim regulären BPS werden die angereisten Gäste aus den Eintrittsgeldern bezahlt, die Sieger*innen des Abends kriegen das Spendensackerl). Dem Format Poetry Slam ist es gelungen, die Mündlichkeit der Poesie wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Amanda Gorman wiederum ist es jüngst gelungen, der ganzen Welt zu zeigen, was Spoken Word Poetry ist und kann.  

UP: Was können Sie uns zur Poetry Slam Szene in Österreich allgemein und in Tirol (und Innsbruck) im Besonderen erzählen?

Köhle: Viele schöne Anekdoten, die u.a. im „Slam, Oida!“ (herausgegeben mit Mieze Medusa, Lektora 2017) nachzulesen sind. Die Slam-Szene in Österreich war vor der Pandemie in Hochblüte. Ich bin zuversichtlich, dass die Szene diesen coronabedingten Dornröschenschlaf zu nutzen wusste und erstarkt und erfrischt in die Post-Corona-Poetry-Slam-Ära starten wird. Innsbruck hat mit dem BPS nicht nur den dienstältesten Poetry Slam Österreichs, sondern auch viele kleine Slams und überrascht immer wieder mit neuen Talenten. In den letzten Jahren besonders zu erwähnen: Roswitha Matt (amtierende Tiroler Meisterin), Hier könnte mein Name stehen (amtierende Ö-Slam-Meisterin), Emil Kaschka (bekannt aus Funk und Fernsehen), Tamara Stocker (bekannt aus der TT) und viele mehr. Essentiell für die Poetry-Slam-Szene Tirols ist aber ein starkes Team rund um den BPS-Slam bestehend aus Carmen Sulzenbacher (bekannt aus dem BRUX), Martin Fritz (bekannt aus Post Modern Talking, der Lesebühne FHK5000, als Lecture-Performer und Radieschenprinzessin auf Lebenszeit) sowie Stefan Abermann (bekannt als erster Poetry-Slam-Preisträger des Landes Tirol und der Stadt Innsbruck 2020).

UP: Was hoffen Sie für die nähere Zukunft der Kunst- und Kulturszene in Österreich?

Köhle: Ich hoffe, dass das Publikum, wenn es wieder darf, wieder so zuverlässig wie früher kommt. Ich hoffe, dass der neue Poetry-Slammer*innen-Jahrgang ganz besonders gereift sein wird und auch die alten Hasen hoppelfreudig wie eh und je sind und ich hoffe sehr, dass das „Koste-es-was-es-wolle“ auch für die Kunst- und Kulturszene gilt. Das heißt, ich hoffe, dass es im Sinne aller ist, Kunst und Kultur in der Form, wie wir sie vor Corona hatten, wieder zu wollen. Denn mittlerweile – und somit komm ich zum Köhlmeier-Zitat zurück – nach über einem Jahr Pandemie-Schockstarre brauchen wir sie wirklich! 

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