Kaiserliches und koloniales Österreich?

von Tobias Jakober
Lesezeit: 5 min
„Österreich war nie im Besitz von Kolonien und hatte daher keinen Anteil am europäischen Kolonialismus und Imperialismus.“ Mit diesem Mythos soll hier aufgeräumt und die tatsächliche Rolle Österreichs in der Kolonialgeschichte ans Licht gebracht werden.

Die Anfänge der Kolonialzeit

Der Beginn der Kolonialzeit wird oft mit den frühen Entdeckungsfahrten der spanischen und portugiesischen Seemächte in Verbindung gesetzt. Im 15. Jahrhundert beginnen diese, Fahrten nach Afrika in den Indischen Ozean und in Richtung Westen, nach Amerika, zu unternehmen. Wo steht das Reich der Habsburger zu diesem Zeitpunkt? Das ausgehende 15. Jahrhundert stellt eine Zeit der Konsolidierung innerhalb des Habsburgerreiches unter Maximilian I. dar. Neben der geographisch ungünstigen Lage – ohne Zugang zum Atlantik – die den Gedanken an überseeische Aktivitäten gar nicht erst aufkommen lässt, besteht ein anderes Problem für Österreich in der drohenden Expansion des Osmanischen Reiches, wodurch viele Kräfte gebunden sind, so Dr. Gunda Barth-Scalmani, Professorin für Österreichische Geschichte an der Uni Innsbruck.

In dieser ersten Phase des europäischen Kolonialismus kann man also schwerlich von einer Beteiligung „Österreichs“ sprechen. Aus einem anderen Winkel betrachtet, ist jedoch zu bemerken, dass durch die Verbindung der Habsburger mit dem spanischen Königshaus zu Beginn des 16. Jahrhunderts in der Person Karls V. – ein Enkel von Maximilian I. – ein Habsburger auf dem spanischen Thron sitzt. Eben diesem Karl gilt der Spruch, er herrsche über ein Reich, in dem die Sonne nicht mehr untergehe. Wobei, zugegeben, die Überseeaktivitäten Spaniens auf politischer Ebene kaum Auswirkungen auf die österreichischen Lande haben und es bald zur Aufspaltung der Habsburger, in eine österreichische und in eine spanische Linie, kommt.

Zwei Jahrhunderte später, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, verfügen die Habsburger mit dem Besitz der Österreichischen Niederlande sehr wohl über einen Zugang zum Atlantik. Das drängende Interesse einer Schicht von Händlern und Kaufleuten veranlasst Kaiser Karl VI. 1722 schließlich zur Gründung der Kaiserlichen Ostindischen Kompanie, einem Pendant zur berühmten britischen East India Company (E.I.C.) und der niederländischen Vereenigde Oostindische Compagnie (V.O.C). Auf Druck anderer Seemächte – insbesondere Großbritanniens – wird dieses Unternehmen jedoch 1727 bereits wieder eingestellt und 1731 endgültig aufgelöst.

Die Tochter Karls VI. – Maria Theresia – initiiert später die Gründung einer Triestiner Ostinidischen Handelskompanie. Diese Gesellschaft unternimmt Fahrten nach Ostafrika und auf dem Indischen Ozean. Es werden Handelsstützpunkte in China und Indien errichtet und sogar einige Nikobaren-Inseln im Golf von Bengalen als österreichische Kolonien in Besitz genommen. Jedoch ist auch diesem Unternehmen kein langes Fortbestehen beschieden. Zehn Jahre nach der Gründung geht die Kompanie 1785 in Konkurs.

Hochphase des europäischen Imperialismus

Im 19. Jahrhundert, in dem im Zuge des europäischen Imperialismus bald die ganze Welt zwischen den europäischen Mächten aufgeteilt und von ihnen ausgebeutet wird, bleibt es um Österreich in dieser Hinsicht bemerkenswert still. Dr. Barth-Scalmani sieht dafür mehrere Ursachen. Zum einen muss das Habsburgerreich in der Zeit nach dem Wiener Kongress wiederum an einer Stabilisierung und Konsolidierung im Inneren arbeiten. Es beginnt die zunehmende Industrialisierung des Landes und damit ein wirtschaftliches Aufholen auf die übrigen europäischen Mächte. Außerdem büßt Österreich mit dem Verlust Venetiens 1866 sein großes maritimes Erbe ein und muss erst wieder mit dem Aufbau einer nennenswerten Flotte beginnen.

 

© Tobias Jakober

Im Zuge des Berliner Kongresses 1878 werden durch die europäischen Mächte neue Verhältnisse auf dem Balkan geschaffen. Österreich-Ungarn wird dabei zugestanden, Bosnien-Herzegowina zu besetzen. Es gibt Stimmen – sowohl unter heutigen Historiker*innen als auch unter Autoren aus Zeiten der Monarchie – die in den österreichischen Aktivitäten am Balkan so etwas wie Binnenkolonialismus und Bosnien-Herzegowina als ‘Ersatz-Kolonie’ sehen. Bei Texten, die noch vor dem Zerfall der Habsburgermonarchie entstanden sind, ist oft die Rede von der ‘Kulturmission’, die Österreich-Ungarn durch staatliche und private Investitionen im Südosten des Reiches erfüllt habe und von der vollbrachten zivilisatorischen Arbeit, die die ‘koloniale Kompetenz’ Österreichs zeige.

Durch seine Konzentration auf Südosteuropa verzichtet die Donaumonarchie jedoch darauf, am Wettlauf um die verbleibenden Teile Afrikas teilzunehmen, der mit der Kongokonferenz 1884/85 zwischen den europäischen Mächten geregelt wird. Auch wenn die Habsburger Monarchie nicht direkt an den kolonialen Aktivitäten in dieser sich zuspitzenden Phase des Imperialismus teilnimmt, steht sie diesen jedoch in keiner Weise ablehnend gegenüber, sondern sieht darin auch wirtschaftlichen Nutzen für sich selbst.

Laut Dr. Barth-Scalmani besteht ein weiterer Grund für die zurückhaltende außereuropäische Kolonialpolitik Österreichs auch darin, dass es keine (ausreichend) mächtige und etablierte Handelsschicht gab, die auf stärkeren Überseehandel gedrängt hätte – anders als beispielsweise im Deutschen Kaiserreich. Es gab allerdings durchaus einige Akteure, die sich auch für eine stärkere Beteiligung Österreich-Ungarns an der kolonialen Aufteilung stark machten. Ende des 19. Jahrhunderts wird die Österreichisch-Ungarische Kolonialgesellschaft gegründet, die mithilfe ihrer Kolonial-Zeitung Einfluss zu gewinnen sucht. Die Gesellschaft vermag es jedoch bis zu ihrer Auflösung 1918 nicht, eine außenpolitische Wende zu erreichen oder sonstige größere Erfolge zu verbuchen.

Eine Episode, die die prinzipiell pro-kolonialistische Haltung Österreich-Ungarns jedoch verdeutlicht, zeigt sich am Boxeraufstand in China um die Jahrhundertwende. Auf Seiten der anderen europäischen Kolonialmächte sowie der USA, Russlands und Japans hilft Österreich-Ungarn dabei, diese chinesische, antiimperialistische Bewegung niederzuschlagen. Auf diese Weise verschafft man sich einen (Handels)Stützpunkt in der chinesischen Stadt Tianjin, welcher mit dem Ende der Monarchie freilich wieder verloren geht.

Auswirkungen der Kolonialzeit auf die Gegenwart

Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass Österreich sich durchaus auch aktiv am europäischen Kolonialismus beteiligt hat. Lediglich unvorteilhafte geopolitische Zustände und ein Zuvorkommen anderer Mächte, haben dem Habsburgerreich den dauerhaften Besitz von Kolonialgebieten verwehrt. Allein die Tatsache, dass Österreich keine Überseegebiete behaupten konnte, heißt jedoch nicht, dass die österreichische Gesellschaft nicht von den Aktivitäten anderer Staaten profitiert hat und dass österreichische Einzelakteure keine wichtige Rolle bei der kolonialen Durchdringung der Welt gespielt hätten. Produkte aus den europäischen Kolonien, sogenannte Kolonialwaren, vermochten es, auch auf kultureller Ebene, tiefgreifende imperialistische Weltbilder und -anschauungen zu etablieren. Die Österreicher*innen dürfen sich also die Hände nicht in Unschuld waschen und jegliche Verantwortung von sich weisen, wenn es heute um postkoloniale Aufarbeitung der Vergangenheit geht. Der in ganz Europa vorherrschende koloniale Diskurs der vergangenen Jahrhunderte hat schließlich nicht an den Grenzen Halt gemacht, sondern hat auch hierzulande eurozentristische und rassistische Denkweisen geprägt.

 

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